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Titel2015

Coltan an Verdi-Arien  (Monika Köhler)

Kampnagel sagt: »No! Schluss mit dem Kolonialismus im Kunstbetrieb!« Zur Spielzeiteröffnung wird in Hamburg das internationale Festival »We don‘t contemporary« präsentiert, das sich mit dem Postkolonialismus auseinandersetzen und den Begriff des »Zeitgenössischen« als »westlich-koloniale Konstruktion«, wie es heißt, »entlarven« will. Afrikanische Kunst – um die geht es hier – werde allgemein als »traditionell« eingestuft. Erst wenn sie sich an »westlichen Maßstäben« orientiere, werde sie anerkannt als »zeitgenössisch«. Dazu also: »No!«


Das erste Stück: »Macbeth«, die Oper des zeitgenössischen 19. Jahrhundert-Komponisten Giuseppe Verdi. Wenn auch der Regisseur Brett Bailey, ein (weißer) Afrikaner, aus Johannesburg stammt und seine – gekürzte – Version im Ostkongo angesiedelt ist, so blieben die Arien doch reinster europäischer Verdi. Das »No Borders Orchestra« (Dirigent: Premil Petrovic): Konzertinstrumente, ergänzt durch Percussion. Die zwölf Musiker, meist aus dem liquidierten Jugoslawien. Chor und Solisten dagegen, alle schwarz. Große Stimmen. Auch die Instrumentalisten hervorragend. Für die Musik zeichnet Fabrizio Cassol, ein belgischer Jazz-Musiker, Komponist und Arrangeur »mit starkem Interesse an außereuropäischen Musikstilen«, doch hier herrscht unbarmherzig Verdi.


Die »Akustik« – Verdis Musik – machte es für die Hamburger Morgenpost »erträglicher«, die an die Bühnenrückwand projizierten Bilder »auszuhalten«. Fotos von den toten Menschen im Ostkongo, die bedrängen. Ich notiere den eingeblendeten Text des Chores: »Zerrüttetes Land. Du bist ein Massengrab, die Waisen, die Witwen, die Krüppel – für deine Kinder bist du nichts als ein Grab.« Die Gewinnung von Bodenschätzen – vor allem des Coltans, aus dem das begehrte Tantal gewonnen wird, für Handys unverzichtbar – ist der Hauptgrund für den Bürgerkrieg in der Demokratischen Republik Kongo (früher Zaire). Vom Erlös des Tantals wird der Krieg finanziert. Die Arbeiter, auch Frauen, schinden sich unter unwürdigen Verhältnissen für einen Pfenniglohn.


Hexen haben dem Feldherrn Macbeth im gleichnamigen Shakespeare-Drama geweissagt, er werde König sein. Doch das geht nicht ohne Töten ab. Lady Macbeth stachelt ihren Mann an, der sich zögerlich zeigt. Sie ist die Machtbewusste. Er hat Skrupel. Alles so auch bei Verdi. Aber welche Rolle spielen die Hexen? Das fragt sich auch Brett Bailey. Und: »Wer schürt im Kongo-Konflikt die Feuer des Krieges?« Hier sind die drei Hexen männlich, tragen dunkle Anzüge mit weißen Helmen und weißen Masken. Sie agieren auf dem kleinen Podium in der Mitte der Bühne. Links der Chor, rechts das Orchester. Die kleine rote Bühne, Aktionsfläche für die Solisten. Die Hexer, waren sie es, die fragten: »Wieviel wohl für uns rausspringt?« Sie verteilen später aus Einkaufstüten Gaben, werfen sie unters Volk. Und immer neue kleine schwarze Puppen, die weggeschleudert werden. Menschenverschleiß? Die Hexer sind Weiße, Businessmen, die Investoren, Vertreter des internationalen Kapitals. Sie bewegen sich ruckartig wie Roboter. Bei ihrem Auftritt wechselt die Musik von Verdi ansatzweise zu Brecht/Weill, leider zu kurz. Verdi siegt und gibt den – hervorragenden – Sängern die Möglichkeit, die Arien zu schmettern.


Anfangs steht Lady Macbeth als Wäscherin auf der Bühne, vor sich das Mittel »Bio Attack«. Um reinzuwaschen. Später bewegt sie sich lasziv-erotisch, greift sich selbst an die Brust, sagt nein, singt auch mal: »Scheiße«, so jedenfalls in der Übertitelung (vom Regisseur). Auf der Bühne, neben Palmen, ein Urinal – oder Spuckbecken, oder ist es ein Designerstuhl? Immer mal wieder eingeblendet: Geldscheine mit Abbildungen der diversen Herrscher oder Militärmachthaber. Macbeth trägt eine gefleckte Tarnjacke und einen roten Kopfputz in Form einer Faust. Oder er sitzt mit seiner Lady auf einem Leopardensofa, von gewehrtragenden Milizen bewacht. Sie spielt mit der Goldkette. Es ist das Coltan, das ihnen das Geld bringt. Die es abbauen, werden hin und wieder auf der Rückwand eingeblendet: schwarz-weiß. Auch Kinder. Und der Wald, der bei Shakespeare so wichtig ist. Manchmal scheint er zu brennen, doch es ist nur Blut, das ihn färbt. Stilisierte Vögel flattern auf der Videowand – sind es Friedenstauben? Sie vereinen sich zu einem Kristallgebilde, dem Hexagon. Der Chor singt von den Kindern, die mit ihren Müttern getötet werden. Dann sitzen die Zurückgebliebenen am Bühnenrand, tief zur Erde gebeugt, mit vor der Brust gekreuzten Armen, klagend. Vor sich Fotos ihrer Angehörigen. Und Briefe, Kleidungsstücke, Schuhe. Wer singt: »Ein Fleck, weg mit dir, verfluchter Fleck«? Ist es Lady Macbeth, die schon wieder eine – jetzt blutrote – Schüssel neben sich hat?


Zum Schluss: Banquo ist ermordet – Macbeth und seine Lady sind tot, wie in der Vorlage. Nein, Macbeth wurde von einem weiblichen Macduff mit der Machete erschlagen. Ein schwarzes Gesicht auf der Bühnenrückwand, ein Auge sieht den Zuschauer an, so intensiv, dass der wegsehen will. Wie hieß es gleich zu Beginn? »Schau ihnen niemals in die Augen – das ist oberstes Gesetz des Dschungels.«