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Titel2410

Ein verzerrtes Mädchen  (Ingrid Zwerenz)

Das bayerische Fernsehen wiederholte vor kurzem den dreiteiligen Film »Erfolg« nach einem der berühmtesten Romane von Lion Feuchtwanger, erstmals ausgestrahlt 1993. Es war hoch an der Zeit, das TV-Drama samt dem zugrundeliegenden Buch wieder in Erinnerung zu rufen. Dem vielbeschäftigten Produzenten, Regisseur und Drehbuch-Autor Franz Seitz ist es gelungen, Gedrucktes in Bild und Dialog zu übertragen, mit den unvermeidlichen Kürzungen und Auslassungen, 780 Seiten Roman bringt man nicht 1 : 1 auf die Leinwand. An politischer Schärfe fehlt es nicht. Der Film exemplifiziert und personalisiert über weite Strecken den so radikalen wie treffenden Satz aus Feuchtwangers 1930 erschienenem Buch: »In jenen Jahren war eines der beliebtesten Mittel, den politischen Gegner zu widerlegen, seine Ermordung.«

Zur Besetzungsliste: Kunsthistoriker Martin Krüger (Peter Simonischek), Rechtsanwalt Siegbert Geyer (Ernst Jacobi), Schriftsteller Jaques Tüverlin (Bruno Ganz), Justizminister Otto Klenk (Martin Benrath), Bauernführer Bichler (Bernhard Wicki) zählen zur ersten Garde der Charakterdarsteller, ihre Rollen sind der epischen Fassung relativ nahe.

Härter traf es Mathieu Carrière, er spielt Erich Bornhaak, einen antisemitischen frühen Jung-Nazi, der seinen linken, jüdischen Vater Geyer haßt und ihn buchstäblich bis aufs Blut peinigt.

Carrièrre, der vielgebuchte attraktive Callboy aus dem Kultfilm von 1983 »Die flambierte Frau« wird als Politrabauke, der er im Roman ist, von Franz Seitz selbst in erotisch-sexuellen Szenen auf Gewalt getrimmt und muß sowohl die russische Tänzerin Insarowa als auch die weibliche Hauptperson im Buch, Johanna Krain, notzüchtigen.

Diese Interpretation verzerrt das von Feuchtwanger geschilderte bayerische Mädchen über die Maßen. Ganze Germanisten-Scharen vergossen Ströme von Schweiß, um herauszufinden, warum die resolute, urteilsfähige, selbständige Graphologin Johanna mit dem windigen, ihr politisch sternenfern stehenden, ja geradezu abscheulichen Erich Bornhaak freiwillig ins Bett geht. Ein wenig zerbrach auch ich mir vor langer Zeit darüber den Kopf, schrieb mal etwas über »Feuchtwangers Frauen« – die gedichteten und die realen.

Doch hier geht’s um die Verfilmung, und Franziska Walser agiert überzeugend als Johanna, dafür erhielt sie mit Recht 1991, als der Film in den Kinos anlief, den Bayerischen Filmpreis als »Beste Schauspielerin«. Bei einer intelligenten Mimin und Schriftsteller-Tochter kann man wohl voraussetzen, daß sie den Feuchtwanger-Roman gelesen hat, sie nahm offenbar die erheblichen Änderungen der epischen Johanna hin.

Hervorragend umgesetzt und erschütternd ist die Fememord-Szene mit der Hausangestellten Amalia Sandhuber. Beschuldigt, ein Waffenlager der »Wahrhaft Deutschen« verraten zu haben, wird sie im Wald erdrosselt. Erich Bornhaak ist an dieser Schandtat beteiligt. In der Sandhuber-Geschichte erinnert Feuchtwanger an den dokumentarischen Fall und grausamen Tod der Serviererin Marie Sandmeier. Hier sind Roman und Film im Einklang.

Auf der Bühne ist es ja heute gang und gäbe, daß Regisseure auch weltberühmte Dramen oder Komödien bis zur Unerkennbarkeit verhunzen, was der umtriebige Ossietzky-Theaterkritiker Jochanan Trilse-Finkelstein immer wieder moniert. Als frustrierte Zuschauerin mancher via Fernsehübertragung erlittener Inszenierungsorgien male ich mir mitunter aus, ein per Wunder wiedergekehrter Shakespeare oder Schiller erblickten ihre Werke in solch einer supermodernen Fassung und fragten verblüfft: Von wem ist eigentlich dieses Stück? Hegel sprach gelegentlich von der Furie des Verschwindens, sie aast heute in den Medien mit dem geistigen Eigentum, daß es einen graust, juristisch geschützt sind vor allem Sachwerte und materieller Besitz.

Ganz so verheerend ist Franz Seitz, der versierte Literaturverfilmer, nicht vorgegangen, doch seine deformierte Johanna schmerzt mich; das ist nicht mehr zu ändern, Seitz verstarb 2006. Da Feuchtwangers »Erfolg« – in einer gekürzten Kinovariante und der längeren Fernsehfassung – nun einmal in der Welt ist, versuchen wir halt, alles in allem positiv zu sehen.