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Titel2412

Schulfrei für die Bundeswehr  (Ralf Siemens)

Wenn das Reinickendorfer Bezirksamt Schüler zu einer Veranstaltung »Fit für die Straße« zur Sucht- und Verkehrsunfallprävention einlädt, klingt das zivil. Es ist mit Polizisten in Uniform zu rechnen, nicht aber mit Soldaten. Reinickendorf liegt in Berlin und nicht in Afghanistan, angesprochen sind Schüler aller 22 bezirklichen 10. Klassen, die für die Problematik Alkohol und Drogen im Straßenverkehr zu sensibilisieren sind, nicht Soldaten. Noch ist auch die Bundeswehr nicht für die Präventionsberatung zuständig, so jedenfalls will es das Grundgesetz. Also keine Bühne für die Bundeswehr.

Weit gefehlt. Jugendoffiziere leiteten auf der Veranstaltung im September 2012 mit einem »Quiz zu Drogen« einen der insgesamt sieben inhaltlichen Workshops. Für das leibliche Wohl der teilnehmenden Schüler sorgte ein Küchentrupp der Bundeswehr, und die ausgelegten Broschüren über Panzer, Kriegsschiffe und Kampfflugzeuge informierten nun nicht wirklich über Gefahren von Drogen im Straßenverkehr.

Die Jugendoffiziere hätten die Veranstaltung mit einem interaktiven Wissensquiz und Impulsvorträgen zum Thema »Produktion und Handel von illegalen Drogen exemplarisch am Beispiel von Schlafmohn und Heroin und die sicherheitspolitischen Auswirkungen in Afghanistan« unterstützt, teilt der für Gesundheit und Bürgerdienste zuständige Bezirksstadtrat im Nachklang einer Lehrerin mit, die die Militärpräsenz in einem Schreiben kritisierte. Und die mit vier Soldaten besetzte Feldküche sei »kostengünstig« und ein Angebot der Bundeswehr gewesen. Er hoffe jedenfalls, die Veranstaltung habe »einen Beitrag für Verkehrssicherheit und gegen Drogen leisten« können.

Daß die Bundeswehr ausgerechnet ihren Werbehunger bei einer Präventionsveranstaltung gegen Drogen stillt, ist schon bemerkenswert. Ist sie doch mitverantwortlich dafür, daß Afghanistan unter der seit Ende 2001 andauernden Besatzung der NATO zum weltgrößten Opiumproduzenten und auch zum weltgrößten Ertragsproduzenten von Cannabisharz/Haschisch aufgestiegen ist. Auch weisen die regelmäßig bekannt werdenden Alkoholexzesse in der Bundeswehr darauf hin, daß die Truppe ein Drogenproblem hat. Daß dann auch noch Soldaten im Tarnfleck den Schülern die Suppe einbrocken, macht sie nicht schmackhafter.

Erfreulich ist aber, daß solch eine militärische Präsenz wieder auf Kritik und Protest stößt. Hatte doch das Thema »Bundeswehr und Schulen« mit dem Abflauen der Friedensbewegung in den 1990er Jahren zunehmend an gesellschaftlicher Brisanz verloren, obwohl der sichtbare Einfluß der Bundeswehr im Schulbereich keineswegs zurückgegangen ist.

Seit über 50 Jahren sorgen Jugendoffiziere an Schulen für die militärische Indoktrination. Eigens für die Kommunikation mit der jugendlichen Zielgruppe geschult, rhetorisch sowie methodisch-didaktisch ausgebildet, jugendlich, dynamisch und kommunikativ auftretend, bilden sie das Scharnier zwischen Truppe und Verteidigungsministerium auf der einen Seite und dem Schulwesen unter Hoheit der Bundesländer auf der anderen. Ihr offizieller Auftrag: Als »Experten für Sicherheitspolitik (Jugendoffiziere über Jugendoffiziere) sollen sie im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr »sicherheits- und verteidigungspolitisches Grundwissen« (Verteidigungsminister Thomas de Maizière) vermitteln.

Inoffizieller Auftrag: Vermittlung eines positiven Images, Akzeptanzherstellung und -werbung für den Auftrag der Bundeswehr, früher für die Hebung der Wehrbereitschaft, heute für Auslandseinsätze. Die Bedeutung der Jugendoffiziere für die Bundeswehr sieht man auch daran, daß ungeachtet des Personalabbaus der Truppe seit Anfang der 1990er Jahre die Stellenzahl von bundesweit 94 hauptamtlichen Jugendoffizieren unangetastet geblieben ist.

Der im Juni 2009 amtierende Wehrminister Franz Josef Jung regte in einem Schreiben an die Kultusminister der Länder an, die seit Jahrzehnten bestehende Zusammenarbeit zwischen der Bundeswehr und den Schulen zu institutionalisieren und dem Beispiel der Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein zu folgen. Diese sicherten in Kooperationsvereinbarungen der Bundeswehr zu, Jugendoffiziere im verpflichtenden Schulunterricht sowie in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrern und Lehramtsanwärtern einzubinden. In seinem Schreiben verwies Jung auf die Einsätze der Bundeswehr in Afghanistan und am Horn von Afrika, die »nicht nur der politischen Begleitung und Unterstützung, sondern immer wieder auch der aktiven Unterrichtung unserer Bürgerinnen und Bürger« bedürften, damit diese »den Sinn bewaffneter Auslandseinsätze« endlich begreifen. Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Hessen und Sachsen folgten dem Ruf des Ministers und schlossen mit der Bundeswehr entsprechende Vereinbarungen.

Initiativen und Organisationen der Friedens- und Antikriegsbewegung, kirchliche Gruppen und Verbände, die GEW, Jugendverbände und politische Parteien protestieren gegen diesen privilegierten Zugang des Militärs auf den schulischen Bildungsbereich. Besonders die Ausbildung von Lehrkräften durch Offiziere ist ein Offenbarungseid staatlicher Bildungspolitik, die politische Inhalte pluralistisch, überparteilich und unabhängig vermitteln muß. In zwei Bundesländern führten die Proteste zu einem Teilerfolg. Die Vereinbarungen wurden zwar nicht aufgekündigt, aber die Angebote der Jugendoffiziere sind nicht mehr Bestandteil der Lehreraus- und -fortbildung. Außerdem wird darin neu der »Dialog mit friedenspolitischen Organisationen« (Saarland) betont beziehungsweise festgeschrieben, daß ein Einsatz von Jugendoffizieren bei schulischen Veranstaltungen nur dann erfolgen kann, wenn auch Vertreter von Organisationen der Friedensbewegung und anderer Institutionen »gleichberechtigt und gleichgewichtig einbezogen« werden (Nordrhein-Westfalen).

Ein gleichgewichtiges und gleichberechtigtes Agieren klingt schön. Da friedensbewegte Organisationen nur über eine kleine Anzahl entsprechend ausgebildeter Referenten verfügen, diese dann auch noch häufig aufgrund eigener Erwerbstätigkeit für Unterrichtseinsätze nicht zur Verfügung stehen, kann ein Agieren mit der Bundeswehr auf gleicher Augenhöhe nicht erreicht werden. Deshalb ist die »Waffengleichheit« an Schulen nur über den Weg der Abrüstung der über unbegrenzte finanzielle Ressourcen verfügenden Bundeswehr herzustellen. Abrüstung aber war noch nie Sache des Militärs.