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Titel2518

Meine Sonnen heißen: Trotz alledem!  (Peter Arlt)

Mit diesem Motto hat Wolfgang Mattheuer das Naturmotiv mit der Moral von Karl Liebknecht verbunden. Vielfach strahlen aus seinen Bildern Sonnen, die mit der Licht- und Farbkraft unseres Heimatsternes das Gefühl der Zuversicht vermitteln, ohne anderes symbolisches Aufgeladensein. Die Sonne beherrscht das »Himmelsland« und färbt das unter ihr tiefenhaft gestaffelt liegende Erdland dunkelviolett (Siebdruck 1971). Damit er eine Sonne ins Bild setzen und mit ihr würdig an die Liebe erinnern konnte, übernahm Mattheuer zwei Jahre vor seinem Tode in den Holzschnitt »Paar im Boot« von 2002 die Motive der gleichnamigen Radierung von 1957 und machte aus dem Querformat ein Hochformat. Das Bild berührt mit mehrfacher romantischer Erinnerung, die einmal an den 48-jährigen zurückdenkt und sich zugleich an eine Jugendszene erinnert.

 

In einer kleinen, doch besonderen Ausstellung zeigt in Grimma die Rathausgalerie Grafiken Wolfgang Mattheuers, so die Lithographie »Paar im Regen«, eine poetische Szene aus der Jugendzeit, oder den Holzschnitt »Winterwald« von 1985 als Kunststück, bei welchem mit dem künstlerischen Handwerk die sinnlich dargestellte Schönheit und Ruhe in der Natur zu bewundern sind. Großartige Siebdrucke sind zu sehen und die selten gezeigten Buchumschläge.

 

Schon vor dem Besuch der Kunstgewerbeschule 1946/47 in Leipzig erwarb Wolfgang Mattheuer während der Lehre in der Firma Carl Werner in Reichenbach Erfahrungen mit druckgrafischen Techniken, die er bei Elisabeth Voigt, Egon Pruggmayer und Walter Arnold an der Hochschule für Grafik und Buchkunst vertiefte und qualifizierte. Dort lernte er 1948 Ursula Neustädt, seine spätere Frau, kennen. Mit der Ausbildung im Fachgebiet Schrift und Ornamentik und dem Grafikdiplom gehörte er im Verband Bildender Künstler der Sektion Gebrauchsgrafik an. Nach zweijähriger Tätigkeit als Grafiker bei der Illustrierten Rundschau in Berlin (Ost) kehrte er nach Leipzig zurück und nahm eine Lehrtätigkeit an der Hochschule für Grafik und Buchkunst auf.

 

Zur Zeit der 50er Jahre entwickelt Wolfgang Mattheuer als Gebrauchsgrafiker beharrlich Varianten von Buchumschlägen. Die Schrift wird vom Charakter des Ereignisses getragen, wie Paul Dessaus »Fünf Tanzstücke« in einer festlichen Antiqua-Kursiv. Mit Heiterkeit schrieb er den Titel »Chansons« in Buchstaben, die von Linien zu Punkten zerrissen sind und zu denen er einen Spatzen gesellt, der Flügel und Beine aufspreizt und den Schnabel weit aufsperrt, wie bei einem humorvoll erlebten begeisternden Vortrag einer Chansonnière.

 

Glaubhaft nennt Mattheuer Caspar David Friedrich als einen seiner »Lieblingsmaler«. Einen Unterschied zu ihm wollen wir nicht zu übersehen. Während Friedrich jedes Motiv der modernen Zivilisation, wie Fabriken, aus seinen Bildern ausschied, bezieht Mattheuer diese ein, wie Antennen, Straßenlampen, Schornsteine oder Kondensstreifen, und gewinnt aus ihnen Ornamente der Zeitgeschichte.

Mattheuer besaß einen Humor, profane Szenen scherzhaft mit philosophischer Bedeutung zusammenzubringen: so bei dem Ausruf des Kindes »Ich sehe die ganze Welt!«, als es den Mont Klamott bestiegen hat, und der sowohl des Hügels Größe als auch den Blick von ihm kindlich übersteigert. Mir schien, dass damit auch kritisch-ironisch die DDR-Perspektive auf die Welt gemeint war. Die Dimension des Berges wird ebenso heiter übertrieben, wenn mit Blick auf den Trümmerberg ein Paar den Spaziergang zu ihm als die Aufforderung »Der Berg ruft« auffasst. Wolfgang Mattheuer hat dazu einen frühen Farbsiebdruck von 1969 mit klaren, fast knalligen Farbtönen geschaffen. Die Buntheit rührt vom Anfang dieser Technik her, von der Industrie und der Werbung, die vor allem in den USA mit dem Durchdruckverfahren Aufwind erhielt, und von den Pop-Art-Künstlern, wie Robert Rauschenberg, die den Siebdruck aus der Gebrauchsgrafik heraus zum künstlerischen Medium heraufhoben.

 

Goethes Sentenz, Natur- und Kunstwerke im Entstehen aufzuhaschen, um sie einigermaßen zu begreifen, bekräftigen viele Motive bei Wolfgang Mattheuer. In der Altenburger Revolutionsausstellung (Ossietzky 24/2018) erinnert das Gemälde »Requiem für Victor Jara«, 1973, an den Tod des Sängers mit einer untergehenden Sonne, die »Trotz alledem!« heißt. Im Farbsiebdruck von 1975 »Brennende Gitarre« sind die Bildmotive reduziert auf das Attribut des chilenischen Sängers, die Flammen aus der Gitarre, und bilden mit dem abstürzenden Kondensstreifen, eine Ikarus-Assoziation, ein ornamentales Emblem, das dem historisch Eingeweihten als Tod des Sängers und die Vernichtung seiner Lieder, doch zudem als Sterben der sozialistischen Hoffnung in Chile verständlich sein dürfte.

 

 

Bis 13. Januar 2019, Rathausgalerie Grimma, Markt 27, Di, Do, Fr, So 15-17 Uhr und nach Vereinbarung (mail@pb-schaefer.de).