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Auf historischer Flugroute  (Gerhard Feldbauer)

Für die völkerrechtswidrige, von der UNO gedeckte Aggression gegen Libyen, deren Führung inzwischen die NATO übernommen hat, stellt Rom alle seine Marine- und Luftwaffenbasen zur Verfügung und beteiligt sich mit bisher vier Tornado- und vier F 16 Mehrzweckkampfjets an den Luftüberfällen (s. Susanna Böhme-Kubys Bericht in Ossietzky 7/11). Die italienischen Piloten klinken ihre Bomben über Tripolis oder Bengasi am Vorabend eines verbrecherischen Jubiläums aus: Vor 100 Jahren überfiel der italienische Imperialismus das von der Türkei beherrschte Libyen und erklärte es nach einem barbarischen Kolonialkrieg zu seiner Kolonie. Auch damals waren handfeste ökonomische Interessen im Spiel. Die mit dem Vatikan liierte Bank von Rom verlangte die Sicherung ihrer Bergbaukonzessionen. Sie wurde außerdem der größte Landeigentümer in der Kyrenaika (die zusammen mit dem Fessan das heutige Libyen bildet). Ihr folgten die Schwerindustrie (Ansaldo) und der Elektrokonzern Marconi. Es war die Zeit der Neuaufteilung der Welt, die mit dem US-amerikanischen Krieg gegen Spanien 1898/99 begonnen hatte. Großbritannien und Frankreich eroberten riesige Kolonialreiche, Deutschland sicherte sich in Afrika und Asien, was noch übrig blieb. Das Zarenreich annektierte große Gebiete Mittelasiens. Gemeinsam unterwarfen die Kolonialmächte China als Halbkolonie.

Italien wollte es ihnen gleich tun und meldete seinen Großmachtanspruch an. Nachdem Österreich-Ungarn sich 1908 Bosnien und die Herzegowina angeeignet hatte, setzte Italien 1911 zur Eroberung von Kolonien in Nordafrika an. Durch den erstmaligen Abwurf von Bomben aus Luftschiffen und Flugzeugen gelang es rasch, Tripolis, Bengasi und das Küstengebiet einzunehmen. 14.800 Araber fanden den Tod, darunter viele massakrierte Zivilisten, Frauen und Kinder. In der Prawda vom 28. September 1912 schrieb Lenin, der Krieg werde fortdauern, »denn die Araberstämme im Inneren des afrikanischen Kontinents, weitab von der Küste, werden sich nicht unterwerfen. Man wird sie noch lange ›zivilisieren‹ – mit dem Bajonett, mit der Kugel, mit dem Strick, mit Feuer, durch die Vergewaltigung ihrer Frauen.« Lenins Voraussicht bewahrheitete sich. Die Partisanen brachten den weiteren Vormarsch in den Wüsten zum Stehen. Den Widerstand in der Nähe der Oasen von Dscharabub und Siwa sowie im Fessan konnten die italienischen Kolonialtruppen nie völlig brechen. Die Oasen von Kufra im Süden der Kyrenaika erreichten sie erst Anfang der 1930er Jahre.

Da hatte das faschistische Regime unter Mussolini bereits neue Kolonialkriege begonnen. 1920 half es der albanischen Reaktion, die bürgerlich-demokratische Revolution niederzuschlagen, danach unterwarf es das Land seiner Vorherrschaft und annektierte es 1939 als Kolonie. 1925 wurde die Eroberung Tripolitaniens, 1929 des Fessan, 1930 die der Kyrenaika vollendet. Hier setzten sich die Nomaden des islamischen Senussi-Ordens, die der legendäre, »Sohn des großen Zeltes« genannte, Stammesführer Omar Mukhtar anführte, erbittert zur Wehr. Der Gouverneur der Kolonie, General Pietro Badoglio, befahl, die Rebellen »von der unterworfenen Bevölkerung zu trennen«, auch »wenn die ganze Bevölkerung der Kyrenaika dabei zugrunde gehen müßte«. 80.000 Nomaden raubte man ihr Vieh und sperrte sie in Konzentrationslager, wo viele verhungerten oder Seuchen zum Opfer fielen. Die Ansiedlungen der restlichen Einwohner wurden geplündert, Geiseln erschossen, Frauen vergewaltigt, die Heiligtümer der Nomaden geschändet, die verbliebenen Partisanen erbarmungslos gejagt, ihre Anführer aus Flugzeugen in den Tod gestürzt. Am 11. September 1931 fiel Omar Mukhtar der Kolonialsoldateska in die Hände. Zu seiner öffentlichen Erhängung am 16. September 1931 wurden 20.000 Menschen zusammengetrieben. In die Kolonie schickte Rom etwa 110.000 Siedler, die den Arabern ihre Böden stahlen. Sie trieben die Beraubten in die Wüste oder zwangen sie, sich auf Plantagen als billige Lohnsklaven zu verdingen. Zwischen 1923 und 1938/39 wurden den Libyern insgesamt 731.000 Hektar landwirtschaftliche Nutzflächen genommen. 1935/36 folgte die koloniale Versklavung des rohstoffreichen Äthiopien.

Abschließend sei auf einen markanten Unterschied hingewiesen: Damals traten Kommunisten, Sozialisten und das fortschrittliche Bürgertum dem Expansionsdrang des römischen Imperialismus entschieden entgegen, heute ist eine solche Haltung kaum zu erkennen. Der Vorsitzende der aus Linksdemokraten und katholischem Zentrum kreierten Demokratischen Partei, Luigi Bersani, begrüßt die Teilnahme des faschistoiden Berlusconi-Regimes an der neuzeitlichen Kolonialaggression. Der Chef der Linkspartei, Nicola Vendola, stellt sich hinter die Resolution des UN-Sicherheitsrats, welche die Aggression ermöglicht. Und selbst die Kommunistische Neugründungspartei PRC schließt sich der heuchlerischen Parole der Aggressoren an: »Gaddafi muß gehen, und wie in Ägypten und Tunesien muß das Volk frei über seine Zukunft entscheiden.«

In welchem Fiasko die kolonialen Aggressoren einst endeten, ist bekannt. Der gegenwärtige Kampf der imperialistischen Mächte um eine Neuaufteilung der Einflußsphären und Rohstoffquellen mag zunächst erfolgreich sein. Letzten Endes aber wird er enden, wie es Lenin schon 1912 voraussah. Wie die Völker der anderen Länder unter neokolonialem Joch werden die Araberstämme »sich nicht unterwerfen«.