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Spaziergang durch Schnöggersburg  (Rainer Butenschön)

Hausfriedensbruch! So lautet der Tatvorwurf. Die Polizei ist aufgefahren. Mit mehreren Autos und Beamten sichert sie das Amtsgericht der Stadt Gardelegen in der Altmark. Werden Gewaltverbrecher erwartet? 30 Menschen, junge und alte, drängen sich fröhlich-friedlich parlierend im Foyer des Gerichts, als dort am 20. März unter der Leitung von Richter Axel Bormann die Verfahren gegen die vier Pazifisten Helmut Adolf, Gerd Büntzly, Malte Fröhlich und Ingrid Fröhlich-Groddeck beginnen, alle seit Jahren ausgewiesen als gewaltfrei agierende Friedensaktivisten. Sie haben Strafbefehlen wegen Hausfriedensbruchs widersprochen und freuen sich, in öffentlicher Verhandlung erklären zu können, warum sie ohne Genehmigung durch eine Stadt spaziert sind, in der die Abwesenheit von Frieden fraglos vorausgesetzt ist und Mord und Totschlag trainiert wird: in Schnöggersburg, Sachsen-Anhalts jüngster Großstadt.

 

Schnöggersburg – diesen Namen trug einst ein Dorf in der Colbitz-Letzlinger Heide nördlich von Magdeburg, bis 1934 die Nazis die Bewohner umsiedelten und die Häuser abrissen, um so freie Bahn für einen Artillerieschießplatz der Wehrmacht zu schaffen. Nach dem Untergang des NS-Reiches nutzten sow-jetische Truppen die Colbitz-Letzlinger Heide, das größte zusammenhängende Heidegebiet in Mitteleuropa, als Manövergelände, das seit 1994 die Bundeswehr übernommen hat. »Schnöggersburg«, so nennt die Bundeswehr heute eine dort fast fertiggestellte »Kampfstadt«, die der Rüstungskonzern Rheinmetall in öffentlich-privater Partnerschaft (ÖPP) als wichtigsten Teil des Gefechtsübungszentrums des Heeres (GÜZ) in den Sand der Heide gesetzt hat.

 

Diese »Kriegsübungs- und Aufstandsbekämpfungsstadt« sei »extralegal«, begründet Malte Fröhlich seinen Spaziergang durch dieses »urbane Ballungsgebiet« (O-Ton-Bundeswehr). Dort würden Kriege gegen die Zivilbevölkerung geübt, also Kriegsverbrechen vorbereitet. Außerdem, erinnert Fröhlich: »Schnöggersburg hat kein Planfeststellungsverfahren durchlaufen, und es wurde keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt, wie sie das Baurecht vorschreibt. Trotzdem wird diese Übungsstadt auf einer Fläche von 6,5 Quadratkilometern in ein Europäisches Naturschutzgebiet hineinbetoniert«, kritisiert er und wirft der Staatsanwaltschaft Stendal Untätigkeit im Angesicht »von offenen Rechtsbrüchen« vor: »Jeder zivile Auftraggeber wäre ohne Zweifel und zu Recht nach Bekanntwerden mit einer Abrissverfügung und empfindlicher Strafe konfrontiert worden.« 2012 hatten Journalisten erstmals über das Projekt berichtet. Eine Klage des Naturschutzbundes (Nabu) vor dem Verwaltungsgericht Magdeburg scheiterte aus formalen Gründen, da der Nabu die Klage zu spät eingereicht habe.

 

Schnöggersburg zählt 520 fensterlose Gebäude und bietet alles, was das Militär von einem städtischem Kriegsspielplatz erwartet: eine Altstadt, ein Regierungsviertel, Hochhäuser, ein Elendsviertel, Industriehallen, eine Bahnstation, einen funktionstüchtigen Flughafen, eine Müllhalde, Straßen und Autobahnausfahrten sowie ein Trümmerfeld, das »zerstörte Infrastruktur« simuliert. Ein Stadion und ein Stadtpark mit einem künstlichen Fluss und verschiebbaren Brücken fehlen ebenfalls nicht. Auch in einem Museum und unter der Erde – in der Kanalisation und in einem U-Bahntunnel – wird dort Krieg geübt. Am Rande dieser Geistergroßstadt liegen Bauernhöfe, gibt es eine Kaserne, finden sich ein Wasser- und ein Umspannwerk. Bis zu 1500 Soldaten können im Gefechtsübungszentrum des Heeres gleichzeitig das Töten üben. Dabei kommen unblutige Lasersimulations- und komplexe Computertechnik zur detailgenauen Analyse der Manöver-abläufe zum Einsatz. 140 Millionen Euro an Steuergeldern hat das GÜZ bislang verschlungen. Der Betreiber, das »Rheinmetall Dienstleistungszentrum Altmark«, vermietet das Gelände und die Technik an die Bundeswehr und die Armeen anderer NATO-Staaten. Jedes Jahr werden dort rund 20.000 Soldaten für Kriegseinsätze im Ausland trainiert.

 

Ingrid Fröhlich-Groddeck sagt, Schnöggersburg sei ein »Ort der Schande« in dem Kriegsverbrechen vorbereitet würden. Und sie nennt es »Missbrauch der christlichen Ethik«, dass ein Militärpfarrer die Kampfstadt im vergangenen Jahr gesegnet habe. Um ein Zeichen gegen NATO-geführte »völkerrechtswidrige Angriffskriege« (Gerd Büntzly) zu setzen, haben die vier Pazifisten mit anderen Friedenstätern der Kampfstadt im Morgengrauen des 5. August 2017 einen Besuch abgestattet mit dem Ziel, entdeckt und angeklagt zu werden – und um jetzt vor Gericht Kriegspolitik anzuklagen. Es war noch dunkel, als sie unter dem Zaun durchgeschlüpft und später zum »Sakralbau« der Kriegsübungsstadt spaziert sind. Dort ließen sie sich widerstandslos von der Polizei festnehmen und des Geländes verweisen.

 

Verabredet hatten sie sich bei einem antimilitaristischen Friedenscamp, das Gruppen der Friedensbewegung regelmäßig im Sommer am Rande der Colbitz-Letzlinger Heide organisieren unter dem Motto: »Krieg beginnt hier – Widerstand auch«.

 

Vor Gericht begründen die Angeklagten ihre Tat mit dem Friedensgebot der Charta der Vereinten Nationen, das laut Grundgesetz für alle deutschen Staatsbürger gelte. So bestimmt Artikel 25 GG: »Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechts. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.« Malte Fröhlich betont deshalb, dass er und andere Bürger nicht nur berechtigt, sondern geradezu verpflichtet seien, diesem Friedensgebot laut Artikel der UN-Charta in der Bundesrepublik gegen alle Kriegsvorbereitungen Geltung zu verschaffen. Büntzly (»Es geht nicht um den Gartenzaun meines Nachbarn!«) fragt, wer eigentlich ein Militärgelände besitze, ob ein solches Gelände nicht in der Verantwortung aller Bürger liege. »Müssen engagierte Bürger nicht eingreifen, wenn auf diesem Gelände Verbrechen verübt oder vorbereitet werden?«

 

In diesem Sinne macht Helmut Adolf darauf aufmerksam, dass das Strafgesetzbuch nicht nur den Paragraphen 123 (Hausfriedensbruch) kennt, sondern auch den rechtfertigenden Notstand gemäß Paragraph 34, wenn eine Gefahr nicht anders abgewehrt werden könne und das angewendete Gegenmittel angemessen sei.

 

Doch da mag Richter Bormann nicht folgen. Er führt die Verhandlungen mit freundlicher Gelassenheit. Geduldig hört er den Erklärungen der Pazifisten zu. Doch ein produktiver Austausch von Argumenten kommt nicht zustande. So fragt der Richter den verblüfft reagierenden Gerd Büntzly, warum dieser denn fordere, dass Willy Wimmer, Helmut Kohls früherer Verteidigungsstaatssekretär, ehemaliger Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und langjähriger CDU-Bundestagsabgeordneter, vor Gericht Zeugnis darüber ablegen solle, dass die Bundeswehr Angriffskriege führe. Zutreffend antwortet Büntzly, das habe er doch gerade eben erst begründet.

 

Die Verhandlungen verlaufen ruhig und ungestört. Die Polizei muss nicht eingreifen. Etwas lauter wird es nur in einer Verhandlungspause, als ZuhörerInnen von der Staatsanwältin Auskunft fordern, warum nicht auch ihnen Strafbefehle zugestellt worden seien, da sie doch dieselbe Friedenstat wie die Angeklagten begangen hätten. »Vielleicht bekommen Sie ja noch Post«, lautet ihre vage Antwort auf diese Fragen nach der Geltung des Gebots der Gleichheit vor dem Gesetz.

 

Richter Bormann gesteht den Angeklagten ehrenhafte Motive zu, aber dass sie als Zivilisten ungebeten in Schnöggersburg einmarschiert sind, mag er nicht billigen: Hausfriedensbruch gemäß Paragraph 123 Strafgesetzbuch! Für alle vier erhöht er – je nach deren Einkommen – die Geldstrafen. Gerd Büntzly bleibt unbeirrt: »Wenn alle meinem Beispiel folgen, wäre mehr Frieden.«

 

 

Die Website der OFFENen HEIDe ist zu finden unter www.offeneheide.de. Spenden zur Unterstützung der vier verurteilten Friedenstäter bitte über das Portal https://www.spendenportal.de/geldspenden/projekt/12438, das ist die Seite des Komitees für Grundrechte und Demokratie. Stichwort: Prozesskostenhilfe /Offene Heide.