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Titel1011

Erinnerung an Emil Carlebach  (Stefan Müller)

Als Schülerzeitungsredakteur traf ich Anfang der 1980er Jahre Emil Carlebach, 1945 Lizenznehmer (einer von sieben) und Chefredakteur der Frankfurter Rundschau. Meine – zugegeben leicht naive – Frage an ihn: Kann er mir empfehlen, Journalist zu werden?

Am 9. April 2011 erschien in der FR eine Gedenkanzeige der Familie Carlebach zu seinem zehntem Todestag. Ausgerechnet in der gleichen Ausgabe, in der verkündet wurde, daß die FR künftig ihre überregionale Berichterstattung nach Berlin verlagert und 44 Stellen streicht. Es ist ein Zufall, aber ein denkwürdiger.

»Die Zeitungen sollten das Eigentum der Journalisten sein«, sagte Carlebach 1998 in einem Fernseh-Interview vor dem (inzwischen abgerissenen) Rundschau-Haus am Eschenheimer Turm. Dies sei der ursprüngliche Wunsch der Amerikaner nach dem Krieg gewesen: »Unabhängige Zeitungen müssen auch unabhängig sein von einem Verleger« (Carlebach). Doch dann kam der kalte Krieg. General Lucius D. Clay, Chef der US-amerikanischen Besatzungsmacht, entzog Carlebach die Lizenz. Karl Gerold wurde Verleger, Herausgeber, Chefredakteur in einer Person.

Nach Gerolds Tod im Jahre 1973 wurde zwei Jahre später nach seinem erklärten Willen die Karl-Gerold-Stiftung gegründet. Sie besaß zunächst zwei Drittel am Druck- und Verlagshaus der FR, es waren die goldenen Zeiten mit lukrativen Druckaufträgen von Springer (Bild und Welt) und einem riesigen Kleinanzeigenteil mit Autos und Immobilien jeden Freitag und Samstag. Die stolze FR verdiente Geld und war eine von vier überregionalen Qualitäts-Tageszeitungen. Studienräte und protestantische Pfarrer leisteten sich sogar in Berlin oder Bremen ein FR-Abo.

Ende der 80er Jahre und in den 90ern wurden die Weichen verlegerisch und redaktionell falsch gestellt. Der schlimmste Fehler war das Ja zu den grundgesetzwidrigen Bundeswehreinsätzen. Kontinuierlich wurden die – politisch oft sehr sensiblen – Stammleser durch Pro-Kriegs-Kommentare verprellt. Die FR ließ sich die Seite »Zeitung in der Schule« von Fraport und McDonalds finanzieren und verspielte noch mehr Kredit. Im Wirtschaftsteil überließ sie sich dem Neoliberalismus und verschaffte den Lesern fragwürdige Geldanlagetips in Zusammenarbeit mit Geldinstituten (»FR-Anrufaktion mit Experten«). Es wäre denkbar gewesen, die »Grenzen des Wachstums« zu erkennen und sich für Aktivitäten wie attac und die Sozialforen zu öffnen. Aber man war ja selbst ein (noch) gewinnorientiertes Unternehmen. Auch die SPD-eigene Medienholding Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft (DDVG) als Gesellschafterin wollte Gewinne machen. Sie mischte sich in redaktionelle Entscheidungen ein, Chefredakteur Wolfgang Storz wurde verdrängt. Er habe die FR zum »Propagandablatt für die Linkspartei« gemacht, behauptete die damalige SPD-Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier.

Was macht man, wenn rote Zahlen eingefahren werden und die Abo-Zahlen in den Keller gehen? Man verbündet sich mit einem qualitativ minderwertigen Stadtmagazin (Journal Frankfurt) – und verliert Leser. Man setzt im »Magazin« auf die immergleiche Huldigung an Rockstars wie Bono (U2) oder Bob Geldof. Man kommentiert gegen die Konzepte kluger Sozialdemokraten wie Andrea Ypsilanti und Hermann Scheer. Man verschläft die ersten zehn Jahre des 21. Jahrhunderts. Dann erst kommt eine prämierte »Ipad«-Application. »Die Leser wollen Texte nicht nur lesen, sondern erleben und spüren«, sagte jetzt der (Noch)-Chefredakteur Rouven Schellenberger beim »European Newspaper Congress« in Wien Anfang Mai. Parallel wird die Druckausgabe bestreikt: Die Beschäftigten haben Angst um die verbliebenen Arbeitsplätze.

Jetzt ist die FR offenbar am Ende. Stephan Hebel, ehemaliges Mitglied der FR-Chefredaktion, der sich jetzt mit der Funktion eines »politischen Autors« begnügt, beschwor die Leser: »Tun Sie mir einen Gefallen: Sagen Sie die FR nicht vorzeitig tot. Denn die Befürchtung, das Kommende sei das Ende der Eigenständigkeit, könnte zur ›self-fulfilling prophecy‹ werden«.

»Die aktuelle Entwicklung der FR sehe ich als letztes Aufflackern vor dem Aus«, schreibt Leser Hartmut Wolf im FR-Blog. Und Wolfgang Fladung wünscht sich »eine Zeitung, welche den uns ganz sicher bevorstehenden Paradigmenwechsel begleitet: wie wollen wir morgen leben? auf was können und wollen wir verzichten und was ist der Gewinn, den wir aus dem Verzicht erzielen? Wie fragwürdig ist unser ›Wachstum‹-Begriff geworden, und wie schädlich und tödlich in seinen Auswirkungen? Was ist uns unsere parlamentarische Demokratie noch wert? Oder wollen wir eine andere Republik?«.

Die Leser sind offenbar visionärer und klüger als die Kölner Zentrale des DuMont-Konzerns (Kölner Stadt-Anzeiger, Kölnische Rundschau, Express, Mitteldeutsche Zeitung, Berliner Zeitung, Berliner Kurier etc.), der inzwischen Mehrheitsgesellschafter geworden ist.

Auch wenn die Idee wahrscheinlich zu spät kommt: Eine eigenständige FR ist nur überlebensfähig als Genossenschaft. Man hätte die Weichen schon Mitte der siebziger Jahre in diese Richtung lenken können, mit Hilfe der Gerold-Stiftung. Als Vorbild hätten sich die FR-Macher auch den britischen Guardian nehmen können. Er ist im Besitz des »Scott Trust«, einer Stiftung, die das Hauptziel hat, die journalistische und finanzielle Unabhängigkeit der Zeitung zu sichern.

Emil Carlebach, ein von 1933 bis 1945 in verschiedenen Zuchthäusern und Konzentrationslagern eingekerkerter Kommunist, immer auf demokratische Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg bedacht, wußte wohl schon zur Zeit der FR-Gründung: Eine kritische Tageszeitung darf keiner einzelnen Partei oder Privatfirma gehören. Stiftungs- und Genossenschaftsmodelle könnten Rettungsanker für die FR sein. Aber ist der DuMont-Konzern daran interessiert?

Übrigens: Emil Carlebachs Antwort auf meine Frage von damals war: »Nein!«