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Titel2317

Vergesst mir die Grafik nicht  (Peter Arlt)

Als ich erfuhr, dass der deutsche Unternehmer, Mäzen und Milliardär Hasso Plattner keine Grafik der DDR sammeln will, stellte ich fest: Da sammelt er also keine Kunst der DDR! – Vor allem in der Grafik entfalteten sich vor und »hinter der Maske« die Verhältnisse immens.

 

Stellen wir der vielbeachteten großen Schau im Barberini Potsdam die unbeachtete kleine Präsentation in der Galerie im Quellenhof Garbisdorf mit einem dort nicht aufgestellten Anspruch an die Seite. Dort, im sächsischen Göpfersdorf, wird jetzt Thüringer Grafik gezeigt, die uns in nuce den Blick weitet und in Erinnerung ruft: Die Grafik entstand für das öffentliche Forum. Über die Grafik spürten die Künstler das Interesse an ihrer Arbeit hautnah. Wenn sie diese über den Staatlichen Kunsthandel oder Grafikgemeinschaften verkauften, stießen sie mit ihren subversiven oder ermutigenden Botschaften auf unmittelbare Reaktionen. Politisch wichtig waren die Intergrafik und Grafikeditionen, wie die nach Entstehung weggeschlossene zu »Prometheus 1982«. Bedeutsam war die Tradition der »100 ausgewählten Grafiken«, die auf erfolgreiche 15 Jahre (1976–1990) zurückblicken konnte und eine individuell differenzierte Grafikentwicklung und demokratische Grafikdistribution nachweist, die möglich war dank erschwinglicher Preise. Grafik trug dazu bei, einen Kontakt zur bildenden Kunst und zu bekannten und unbekannten Künstlern herauszubilden. Über ihre vielfältigen Gestaltungsweisen und originäre Individualität entwickelten die Künstler in voller Freiheit die virtuos kombinierten Techniken zur opulenten gestalterischen Dichte, um eine phantasievolle, auf gesellschaftliche Vorgänge bezogene Zeichenfindung zu erzielen.

 

Über die Ausstellung von 50 Werken, Zeichnung und Grafik von 1969 an, besonders aus der Gegenwart, in einem ehemaligen Scheunenraum, berichte ich mit empathischer Freude und tiefem Respekt, denn der Sammler Günter Lichtenstein und der vormalige Museumsdirektor Dieter Gleisberg haben sie aus freien Stücken, ohne finanzielle Unterstützung und honorarfrei gemacht. Beide lassen erleben, dass es in Sachsen und in Thüringen eine partnerschaftliche Verbundenheit von Galerien, Sammlern und Kunstwissenschaftlern mit den Künstlern gibt und sich mit sympathischer Solidarität in den Dienst der Kunst stellt.

 

Herausragend der Katalog »Göpfersdorfer Kunstblätter«, bereits das 14. Heft (72 Seiten, 14,80 €). Sind es diese kleinen Publikationen, die seit Jahren auf die offiziell zur Seite geschobene Kunst hinweisen und später dem interessierten Nachfahren Genaues über die Kunst der Zeit vermitteln können?

 

Im Grafik-Rückblick streben bei Kurt W. Streubel Menschen nach »Oben-hin« und »Hin-über«. Mit aleatorischen Klängen zog Werner Schubert-Deister die Kämme-Zeichnung übers Blatt. Sich drehende und verzweigende Linienbündel erzeugen bei Philip Oeser Naturformen von Vogelfedern, Vorformen späterer Ikarus-Flügel. Die schönen und stachligen »Silberdisteln« Otto Knöpfers sind bei ihm auch Metapher für die Abwehr begehrenswerter Frauen. Die künstlerische Eigenart, halbabstrakte Figurationen durch zahllose Reihen kurzer Striche zu verdichten, führt vom Alfred Traugott Mörstedt, mit einer Nähe zu Gerhard Altenbourg und zu Paul Klee, bis zu Eva Bruszis.

 

Unsere Zeit mit ihren Kriegen und Krisen stülpt, wie es die Grafiken von Peter Schnürpel, Gerd Mackensen oder Tanja Pohl zeigen, aus sich heraus die adäquate Kunstform von dramatisch zerstörtem Liniengeflecht, expressiven balkenartigen und durcheinandergeratenen Konturen, von tiefgeätzten Umrissen. Gleisberg findet in den Grafiken Bedeutungen, wie die Vergötterung des Mammon in Ulrike Theusners Radierung »Das Goldene Kalb« oder bei Horst Peter Meyer die Bekräftigung des Mahn- und Weckrufes O DONNER WORT. Über die gegenwärtigen Verhältnisse wird kritisch in Fraktur geschrieben. Womit auf Luther zurückgekommen wird, dem mit seinem Wort »Die Welt ist voller Wunder« die zusätzliche Grafikmappe gewidmet ist.

 

Festzuhalten ist, dass die Grafik international jährlich am zweiten Novemberwochenende als kulturelles Gedächtnis der Menschheit raus aus der Kiste grafischer Sammlungen ans Licht gebracht, also gewürdigt wird. Das sollte der Sammlung Barberini in Potsdam ein Vorbild sein.

 

 

Die Ausstellung läuft bis zum 23. Januar 2018. Absprache Ausstellungsbesuch telefonisch unter: 037608-29030.