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Titel716

Von Zeit zu Zeit: Hauptsache Arbeit!  (Stephan Krull)

»Wir wissen, wir fühlen, wir begreifen, dass wir alle potentielle Arbeitslose sind, potentielle Unterbeschäftigte, Teilzeit-Arbeiter, Jobber, prekär Beschäftigte. Aber was jeder von uns einzeln weiß, ist noch nicht zum Bewusstsein unserer gemeinsamen, neuen Wirklichkeit geworden.« André Gorz

Die meisten Beschäftigten sind nicht sehr produktiv, beschäftigen sich mit kollegialen Gesprächen, mobben, kochen Kaffee oder – soweit männlich – stellen den Kolleginnen nach: Personal soll drastisch abgebaut werden. Da mietet der Chef – ganz realistisch und passenderweise – einen Vergnügungsdampfer für die Geschäftsjahresabschlussfeier. Auf dem Tanzdeck verkündet er, dass zum Wohle des Unternehmens (der Bilanzen) – Applaus der Belegschaft – Entlassungen anstehen. Alle Beschäftigten glauben – noch –, dass es sie nicht treffen wird. Es werden paardynamische Spiele veranstaltet, deren Gewinner ihren Arbeitsplatz behalten sollen. Sogleich bringt sich die Belegschaft in Stellung für den Kampf um die Anstellung. Ein Motivationstrainer (Applaus der Belegschaft) hat die zweifelhafte Spielleitung, und es sind am Ende die Ratten, die das Schiff lebend verlassen.


Ein groteskes und intensives Stück von Sibylle Berg, das am Schauspielhaus Magdeburg gespielt wird, über den Stellenwert der gegenwärtig wichtigsten Hauptsache der Welt – den Arbeitsplatz – und die Frage, ob der arbeitende Mensch noch Mensch ist oder längst nur noch Rädchen im selektierenden Getriebe des Humankapitalmarktes.


Mit einigen theatralischen und dramaturgischen Überspitzungen ist das Stück und sind die wunderbar spielenden Schauspielerinnen beängstigend nah dran am (Arbeits-)Leben.


Die Motivationstrainer, im Stück die Ratten, fragen die Angestellten, wie es weitergehen soll – die einzig richtige Antwort: Die Konkurrenz muss vernichtet werden. Und dann wird die Kollegin zur Konkurrentin, der Kollege zum Konkurrenten, und es kommt, wie es kommen muss: Vernichtung!


Und nun, am Tag danach, die Realität, zum Beispiel bei Volkswagen und Porsche:
Das Unternehmen hat jahrelang Millionen Kunden, den Staat und die Umwelt nach allen kapitalistischen Methoden betrogen und belogen: Die Konkurrenz gilt es zu vernichten.


Jetzt kommt der Katzenjammer: Rückrufaktionen, Imageverlust, Strafzahlungen und teure Prozesse. Zehn Milliarden Euro wurden dafür zurückgestellt, die irgendwie eingespart und wieder reingeholt werden müssen, damit die Anteils-eigner, der Porsche-Piëch-Clan, nicht allzu sehr darben.


Mehr als 1000 Leiharbeiter in Emden, Hannover und Zwickau werden nicht weiter beschäftigt, die Kommunen haben drastische Einbußen an Gewerbesteuern (Wolfsburg über 70 Prozent). Aber: Die Stammbelegschaft bei Porsche wird mit fast 9000 Euro pro Beschäftigten ruhiggestellt, die Konkurrenz der Leiharbeiter wird – von den traurigen Blicken der Stammbelegschaft begleitet – durch den Arbeitgeber, durch den »stummen Zwang der Verhältnisse« (Marx) sozial exekutiert und vernichtet. Die »Experten« und der Betriebsratschef Uwe Hück finden das angemessen. Es könne nicht sein, dass Porsche-Mitarbeiter »weniger Sonderzahlung bekommen, nur weil einige Dummheiten gemacht haben«, so Hück mit Blick auf Volkswagen und den gigantischen Betrug, der von dort ausging und übrigens auch in tausende Porsche-Modelle eingebaut wurde. Da passt es doch ins Bild, dass dieser Interessenvertreter von Porsche sich mit Horst Seehofer (CSU) gegen eine gesetzliche Regelung der Leiharbeit ausgesprochen hat.


Ein Mann für das Grobe, Professor Stefan Bratzel: »Es wäre schwierig, müssten die Porsche-Beschäftigten wegen VW in die Röhre schauen – das würde Animositäten schüren.« Und die Leiharbeiter, die Werkvertragsbeschäftigten? Deren Animositäten spielen für Bratzel keine Rolle.


Animositäten, um es mal ganz verharmlosend auszudrücken, gibt es schon viel zu viele im ganzen Land wegen schreiender sozialer Ungerechtigkeiten. Gewerkschaften und Betriebsräte sollten da kein Öl ins Feuer gießen mit opulenten Sonderzahlungen an diejenigen, die ohnehin ganz gut verdienen.


Stattdessen: Leiharbeiter übernehmen, gleiches Geld für gleiche Arbeit – das wären die Zeichen, die von Betriebsräten und Gewerkschaften jetzt zu erwarten wären, zumal die Leiharbeiter und die Frauen, betroffen von den Gerechtigkeitslücken Pay Gap, Time Gap und Pension Gap, selbst zu einem großen Teil Gewerkschaftsmitglieder sind!


Das realistische Theater ist gut, die Realität ist grausam und – wenn es nicht gelingt, soziale Gerechtigkeit zum Maßstab politischen Handelns zu machen – die Gesellschaft zerstörende Praxis des kapitalistischen Systems und seiner Manager in Unternehmen und Regierung.

Das Stück wird nochmals aufgeführt am 9. April und am Vorabend des 1. Mai, am 30. April.