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Titel0909

Lieberman sagt, was Ben Gurion wollte  (Hans Krieger)

Dankbar sollten wir ihm sein, dem neuen israelischen Außenminister Avigdor Lieberman. Denn er bringt endlich etwas Ehrlichkeit in die Auseinandersetzung um das gequälte Palästina. Mit der Dummdreistigkeit des plumpen Faschisten plaudert er aus, was seit jeher, vor wie nach der Staatsgründung, das verschwiegene Kernmotiv der zionistischen Politik gewesen ist. Er bietet damit eine Chance, das Mythengewebe zu zerreißen, das seit Jahrzehnten den Blick auf die Realität versperrt und angemessenes Handeln verhindert.

Der Mythos lautet: Ein tapferes Volk der ewig Verfolgten verteidigt mit heroischer Geduld sein Existenzrecht und seinen Anspruch auf Sicherheit vor Raketenbeschuß und Terroranschlägen gegen eine feindliche Umwelt, die es »ins Meer werfen« möchte; seine Überreaktionen sind entschuldbar durch permanente Bedrohung. Die reale Bedrohung aber und erst recht die gefühlte Bedrohung war absichtsvoll selbstgeschaffen. Aus den Tagebüchern David Ben Gurions, des Gründungsvaters des Staates Israel, geht klar hervor, daß er keinen Augenblick an eine ernsthafte arabische Bedrohung geglaubt hat. Wohl aber hielt er es für angezeigt, ein Gefühl massiver Bedrohung gezielt zu schüren, um den Kampfgeist zu wecken, der nötig war, um Gesamtpalästina für den Judenstaat zu erobern, und zwar mit so wenig palästinensischen Bewohnern wie nur irgend möglich.

Die Grundentscheidung hatte Ben Gurion 1947 auf dem 20. Zionistenkongreß durchblicken lassen: »Wir werden nach der Staatsgründung eine starke und große Armee schaffen und werden die Teilung des Landes aufheben und uns im ganzen Land ansiedeln ... Unsere Forderung ist nicht ein jüdischer Staat in Palästina, sondern ganz Palästina als jüdischer Staat.« Und er hat Tatsachen geschaffen. Ben Gurion war der strategische Planer der im Herbst 1947 begonnenen systematischen ethnischen Säuberung, die mit brutaler Gewalt eine Dreiviertelmillion Palästinenser aus ihren Häusern vertrieb und ihre Dörfer dem Erdboden gleichmachte; viele kamen dabei ums Leben (erschütternd nachzulesen bei dem israelischen Historiker Ilan Pappe). Damit war der Weg vorgezeichnet: Militärgewalt statt Versöhnung und Ausgleich. Und seitdem gibt es ein »Flüchtlingsproblem«.

Friedensrhetorik und scheinbares Eingehen auf die Zweistaatenlösung war stets begleitet von Aktivitäten, die einen Versöhnungsfrieden verhindern: Provokationen, Verschärfung des Besetzungsregimes, Ausbau der jüdischen Siedlungen. Der Siedlungsausbau nahm während des »Oslo-Prozesses« zu und erreichte seinen Höhepunkt unter dem Ministerpräsidenten Ehud Barak, der das angeblich großzügigste Friedensangebot machte und es gezielt scheitern ließ (als jetziger Verteidigungsminister ist Barak nicht das Feigenblatt Netanjahus, er hat sich nur endgültig dekuvriert). Wo immer die Gefahr einer Annäherung bestand, konnte man sich auf israelische Provokationen verlassen, die der Gegenseite die Schuld am Scheitern zuschieben sollten, der Gaza-Krieg ist das jüngste Beispiel.

Schon 1929 schrieb Albert Einstein mahnend an Chaim Weizmann: »Sollten wir unfähig sein, einen Weg der ehrlichen Zusammenarbeit und der ehrlichen Vereinbarungen mit den Arabern zu finden, dann haben wir absolut nichts gelernt aus unserem zweitausendjährigen Leiden und verdienen alles, was da auf uns zukommen wird.« Es gibt in Israel viele Menschen, die in diesem Geist der Humanität unter großen Opfern Basisarbeit der Versöhnung leisten. Ihnen gehört unsere Solidarität. Nichts aber, auch nicht die immer notwendige Erinnerung an die deutsche Schuld gegenüber den Juden, rechtfertigt die Solidarität mit einer Staatsführung, die das Völkerrecht und elementare Menschenrechte mit Füßen tritt und UNO-Resolutionen konsequent mißachtet. Sie verdient scharfe Kritik, die sich nicht scheut, ein Verbrechen ein Verbrechen zu nennen, und sie verdient auch den Entzug jeglicher ideeller wie materieller (nicht zuletzt: militärischer) Unterstützung. Und zwar im Interesse Israels selbst und seiner Menschen, die durch eine manipulativ einseitige Informationspolitik in die Verblendung getrieben werden. Denn der Weg der israelischen Politik ist der Weg der moralischen und vielleicht auch physischen Selbstzerstörung. Daß dies mit der neuen Rechts-Regierung klarer geworden ist, könnte eine Chance enthalten.