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Titel112013

Bestrafte Gesetzestreue  (Arnold Venn)

Als sich im Jahre 2003 die Bundeswehr mit einigen Tausend Soldaten am Krieg gegen den Irak beteiligte, an dem sie nach offizieller Darstellung nicht teilnahm, weigerte sich Major Florian Pfaff, daran mitzuwirken. Er erklärte, die einschlägigen Gesetze untersagten die Mitwirkung an diesem Krieg, die Bundeswehr aber verlange von ihm, die Gesetze außer Acht zu lassen, und sie bestreite das auch gar nicht. Faktisch verbiete ihm die Bundeswehr, sich rechtstreu zu verhalten. Jürgen Rose, inzwischen in den Ruhestand getretener Oberstleutnant der Bundeswehr, hat in einer Ossietzky-Serie und dann auch in seinem Buch »Ernstfall Angriffskrieg – Frieden schaffen mit aller Gewalt?« ausführlich über den Fall berichtet, auch über das ermutigende Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig, das im Jahr 2005 Pfaffs Recht zur Befehlsverweigerung anerkannte.

Doch die Bundeswehr akzeptierte diese höchstrichterliche Entscheidung nicht. Sie mochte sich nicht damit abfinden, daß dem Major gestattet wurde, die Gesetze zu achten, die ihr verbieten, ohne Mandat Krieg zu führen – einen Krieg, der nicht der Verteidigung diente und etwa eine Million Menschenleben kostete. Die Rechtsgelehrten der Bundeswehr wurden per Intranet (in einem mit Paßwort geschützten Bereich) angewiesen, Pfaffs Gewissensentscheidung nicht als »echt« anzuerkennen und den von ihm verweigerten Befehl trotz des Urteils durchzusetzen. Von der Beachtung der Rechtslage, wie das Gericht sie klargestellt hatte, riet die Bundeswehr intern ab. Eigentlich – von Rechts wegen – hätte sie nach dem Leipziger Urteil einlenken müssen. Doch sie ließ sich etwas anderes einfallen: Sie verhängte eine Art lebenslange Beförderungssperre. Die Parole lautete: »EdeKa« (im Soldatenjargon: Ende der Karriere).

Laut Grundgesetz ist die Exekutive an Gerichtsentscheidungen gebunden. Aber die Bundeswehr änderte einfach die Begründung, um Pfaff doch nicht befördern zu müssen. Der Major hatte jetzt nicht mehr »kein« echtes Gewissen, sondern sollte im Gegenteil gerade deswegen nicht mehr befördert werden, weil er eines hatte. Die Bundeswehr argumentierte sinngemäß: Soldaten, die von ihrem Gewissen her Gesetzesverstöße ablehnen, könnten nur in mandatierten, auch aus deren Sicht rechtmäßigen Militäraktionen eingesetzt werden und seien daher nicht mehr uneingeschränkt (für alle ihre Kriege) verwendbar. Mangels Bereitschaft zu schwerem Rechtsbruch oder auch nur zum Wegsehen war Stabsoffizier Pfaff aber nicht mehr uneingeschränkt verwendbar; folglich könne er nicht befördert werden.

Um nicht benachteiligt zu werden, mußte der Major, den übrigens die Internationale Liga für Menschenrechte 2006 mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille auszeichnete, ein zweites Mal vor Gericht ziehen. Und wieder bekam er Recht: Er habe keinen Anlaß für eine Beförderungssperre geliefert, nur gedroht, sich an das Recht zu halten. Die lebenslange Beförderungssperre wurde aufgehoben.

Wie reagierte darauf eine Bundeswehr, deren damaliger Generalinspekteur an solchen Kriegen beteiligt sein wollte? General Schneiderhan forderte (freilich hinter verschlossenen Türen): »Wir müssen so etwas anbieten, was die Briten mit den USA im Irak gemacht haben«, also auch Bodentruppen einsetzen, das krasse Gegenteil von »nicht am Krieg teilnehmen«. Die Bundeswehr ging gegen das Urteil, das ihr zum zweiten Mal die Beförderungssperre untersagte, in Berufung. Der Sachverhalt war aber längst so klar, die Rechtsprechung so eindeutig, daß der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ein weiteres Verfahren für unnötig erklärte. Die Bundeswehr sollte sich nur bitteschön an das Urteil der Vorinstanz halten.

Jetzt war richtig Feuer unterm Dach. Erst war die Beförderungssperre wegen fehlenden Gewissens, dann die wegen Gewissens gescheitert und nun die Berufung gar nicht erst zugelassen. Sollte man sich daraufhin etwa rechtstreu verhalten und Pfaffs Gewissen zähneknirschend akzeptieren? Dahin durfte es nicht kommen, denn wo bliebe dann noch Spielraum für illegale Kriege (andere verweigert der Major ja nicht)? Unmandatierte Kriege (siehe General Schneiderhan) würde die Bundeswehr kaum mehr auf die Reihe bekommen.

Die Juristen der Bundeswehr mußten einen neuen Weg finden. Nachdem Pfaffs Gewissen in jeder Hinsicht für in Ordnung befunden worden war, setzte man die ganze verbliebene Hoffnung auf die dreiste Behauptung, er habe ein anderes Dienstvergehen begangen. Aber seine Akte war und blieb blitzsauber. Schließlich entsann man sich seiner »Unterstellung«, die Bundeswehr habe das Gewissen nicht geachtet, sie verhalte sich nicht stets rechtstreu. War Pfaff nicht gerichtlich gegen sie vorgegangen? Hatte er nicht sogar behauptet, die Bundeswehr breche Recht und Gesetz, sei an einem nicht mandatierten Krieg beteiligt gewesen? Wer so schlecht daherredet, ob wahr oder nicht, der schadet seinem Ansehen. Und wer seinem Ansehen so heftig schadet, ist nicht geeignet für die Beförderung zum Oberstleutnant. Wohl gemerkt: seinem Ansehen, nicht dem der Bundeswehr.

So kam es zur nächsten Beförderungssperre – nicht mehr wegen einer Gewissensentscheidung (vorhanden oder fehlend), sondern wegen Schädigung des eigenen Ansehens. Pfaff hatte nämlich geschrieben: »Ich rufe alle Soldatinnen und Soldaten auf: Halten Sie sich stets strikt an das Völkerrecht.« Anscheinend ein schweres Dienstvergehen.

Jetzt muß er also zum dritten Mal vor Gericht ziehen, um sein Recht zur Geltung zu bringen. Aufgrund des Urteils vom Februar 2013 kann er aber vor seinem Ausscheiden als Major Ende Mai keine Beförderung mehr erzwingen (als Oberstleutnant würde er noch nicht so bald ausscheiden). In Frage kommt nur noch finanzielle Entschädigung.

Die Bundeswehr wird es vor Gericht auch diesmal schwer haben. Sie hatte Pfaffs Aufrufe zur Rechtstreue damals sogar ausdrücklich gebilligt. Pfaff hatte das Buch, in dem er seinen Fall schilderte, vor der Veröffentlichung mit der Bitte um Prüfung vorgelegt, ob etwas Überzogenes darin stehe. Ihm wurde von seinem Disziplinarvorgesetzten (im Generalsrang) ausdrücklich versichert, er begehe damit kein Dienstvergehen, er mache nur von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch. Ihn dafür jetzt sozusagen rückwirkend mit einer Beförderungssperre belangen zu wollen, käme einer nachträglichen willkürlichen schweren Bestrafung ohne Einschaltung des zuständigen Truppendienstgerichts gleich – für zuvor gebilligtes Verhalten: Beförderungssperre für eine Veröffentlichung aus dem Jahr 2008, für die er als loyal gelobt worden war – niemand hatte ihn dafür kritisiert, niemand einen Vorwurf erhoben, niemand gar ein Disziplinarverfahren eingeleitet, geschweige denn ein ordentliches Verfahren mit Anhörung.

Auch wenn der neuerliche Vorstoß der Bundeswehrführung gut in das bisherige Gesamtbild im »Fall« Pfaff paßt, die Gerichte haben bisher letztinstanzlich vorbildlich entschieden. Und auch im anstehenden Verfahren wird hoffentlich am Ende festgestellt werden, daß sich die Vorgesetzten des Majors nicht irrten, als sie ihm Korrektheit und besondere Loyalität bescheinigten, und daß ausschließlich die Bundeswehrführung – schon wieder – rechtswidrig handelte.

Die Auseinandersetzung, ob die Bundeswehr Kadavergehorsam fordern und durchsetzen darf oder ob sie Gerichtsurteile beachten muß, ist noch nicht abschließend entschieden. Immerhin darf Florian Pfaff jetzt, weil offenkundig benachteiligt, den Rechtsweg gegen die Bundeswehrführung beschreiten – was er auch tut.

Die wesentlichen Dokumente zum Fall Pfaff, der ein Fall Bundeswehr ist, sind im Internet unter der Adresse www.worldcitizens.de einsehbar. Sein Buch erschien unter dem Titel »Totschlag im Amt – Wie der Friede verraten wurde« im HWK Verlag (204 Seiten, 9,50 €).