erstellt mit easyCMS
Titel1217

Bemerkungen

Seminarrheit

Politisches Gestalten

muss die Bürger vom eigenen Denken abhalten

und ihnen in wesentlichen Sachen

die richtigen Gedanken machen.

 

Günter Krone

 

 

 

Niemand wird zurückgelassen

Es geht um die Menschen, nicht um die Gewinnmaximierung. Das klingt gut. In ihrer Rede am 17. Mai beim Labour20-Dialogforum im Vorfeld des G20-Treffens bekräftigte Bundeskanzlerin Merkel ihre »feste Überzeugung, dass es bei der Gestaltung der Globalisierung um Menschen geht und dass die Lebenschancen der Menschen verbessert werden müssen, nicht nur sozusagen die Gewinne auf den Finanzmärkten oder die Gewinne Einzelner«. Im Kommuniqué der Staats- und Regierungschefs des G20-Gipfels in Hangzhou vom September 2016 taucht das Wort Wachstum in verschiedenen Zusammensetzungen mehr als sechzig Mal auf zwölf Seiten auf, das Wort Mensch immerhin dreizehn Mal, für das Wort Armut gibt es zwei Treffer. Ein Absatz spricht verheißungsvoll von der »Einbeziehung aller Menschen«: »Wir werden darauf hinwirken, dass unser Wirtschaftswachstum den Bedürfnissen aller Rechnung trägt und allen Ländern und Menschen, insbesondere auch Frauen, jungen Menschen und benachteiligten Gruppen, zugutekommt und dass mehr Arbeitsplätze geschaffen und Ungleichheiten angegangen werden und die Armut bekämpft wird, damit niemand zurückgelassen wird.« Niemand?

 

Die seit Mitte Mai vorliegende dritte Ausgabe der 8-seitigen Zeitung FaktenCheck: Europa zieht im Vorfeld des G20-Treffens in Hamburg Bilanz und titelt auf Seite eins »Profit zerstört Menschenwürde«, um dann im Verlauf des Artikels die Ziele des Gipfels zu beleuchten. Weitere Schwerpunkte der Zeitung: die Wahl in Frankreich und Macrons Programm, der EU-Freihandel und Afrika, die deutschen Exportüberschüsse, Glyphosat und Hybrid-Weizen sowie die aktuelle Situation in der Türkei. Mehrere Beiträge des Blattes widmen sich der Lage in Griechenland: In welchem Zustand befindet sich das griechische Gesundheitswesen, wie ist die Lage von Flüchtlingen in Griechenland, welche Privatisierungsvorhaben wurden und werden in Griechenland durchgedrückt?

 

Die Zeitung eignet sich gut zum Verteilen, wobei die Artikel auch auf der Website faktencheck-europa.de nachzulesen sind. Das Blatt kostet 25 Cent pro Exemplar, beim Kauf von 100 und mehr Exemplaren 15 Cent (zzgl. Versand und Verpackung). Bestellungen unter: bestellen@faktencheckhellas.org oder über den Menüpunkt »Bestellen« auf der oben genannten Website.                            

 

K. K.

 

 

 

Texte aus Ost und West

In Willy Brandts viel zitiertem Satz, wonach in Deutschland zusammenwächst, was zusammengehört, ist mitgedacht, was ungesagt bleibt. Bevor etwas zusammenwächst, muss es auseinandergedriftet sein. Wie tief aber war der Bruch, und wie viel Zeit würde der Wachstumsprozess beanspruchen? Bei der Antwort scheiden sich die Geister. Warum lange fragen, heißt es oft. Andererseits: Warum nicht akzeptieren, dass die in Jahrzehnten erwachsene Entfernung Jahrzehnte nachwirken muss?

 

Autoren aus Brandenburg und Schleswig-Holstein, die sich mehrmals bei Lesungen getroffen hatten, fassten 2012 den Plan für eine gemeinsame Anthologie. Als Thema wählten sie »Grenze«. Einst Trennendes sollte Anlass für Verbindendes werden, wobei Grenze alles sein konnte, aber eben vor allem »die Mauer«, jenes Sinnbild der Teilung. Ergebnis des Vorhabens ist die Anthologie »Grenzfälle – Texte aus Brandenburg und Schleswig-Holstein«, zur diesjährigen Leipziger Buchmesse erschienen im Verlag für Berlin-Brandenburg.

 

Das Augenmerk fällt zunächst auf die Geleitworte der einstigen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe und Björn Engholm. Auf die Beiträge von 17 Brandenburger und 22 Schleswig-Holsteiner Autoren folgt ein erklärendes Nachwort des Mitherausgebers Klaus Rainer Goll (Lübeck). In allem schlägt sich unverstellt nieder, wie weit nach gut 25 Jahren der Prozess der Annäherung gediehen ist beziehungsweise welche innere Kluft noch besteht. Das Verschiedensein wird nicht betont, aber auch nicht verdeckt. Es äußert sich etwa in der entwaffnend offenherzigen Feststellung »Mensch, die sind anders als wir!« in einem Gedicht von Eckhard Lange, dreißig Jahre Gemeindepfarrer in Lübeck. Dass die Bewohner der jeweils anderen Seite anders sind, kann man in dieser sorgfältig erarbeiteten Sammlung, deren Herausgeber für Brandenburg Klaus Körner und Till Sailer sind, lustvoll studieren. Viele Texte dokumentieren eine jeweils andere Mentalität. Sie beziehen sich auf verschiedene »Leitkulturen« – grob gesprochen: hie »christliches Abendland«, da »atheistisches Morgenland«. Immer wieder klingt bei den Brandenburgern ein latentes Wir-Gefühl an, etwa in »Offene Türen« von Gerda Weinert: »Wir fühlten uns fehl am Platz unter all den Gläubigen«. Oder in Lonny Neu: »Wer in unserer Zeit konnte schon gerade Wege gehen?« Die Geschichten aus westlicher Sicht haben anderen Zuschnitt, etwa wenn Barbara Ahrens in »Keine ernsthaften Schäden« berichtet, ihr Vater habe eines Tages beschlossen, »das Nachkriegs-Berlin aus seinen Gedanken zu streichen, um die Stadt so in Erinnerung zu bewahren, wie er sie als Kind ... erlebt hatte«. Sie schließt mit dem Biermann-Zitat: »Die Wunden woll’n nicht zugeh’n / Unter dem Dreckverband.« Klaus Rainer Goll konstatierte bei einer Reise in die DDR: »Es ist Deutschland. Aber es ist nicht das Deutschland, das ich kenne.«

 

Die Entdeckungen, die dieses Buch ermöglicht, können hier nicht aufgelistet werden. Sie stellen sich zwangsläufig ein, wenn Autoren aus Ost und West Grenzerfahrungen aller Art präsentieren. Bemerkenswert ist dabei, dass jüngere Autoren nur selten die innerdeutsche Grenze thematisieren. Sie verbinden mit dem Thema eher existenzielle Grenzen. Großes Vergnügen bereiten die »Grenzgänge« von Matthias Körner, der nahe der deutsch-polnischen Grenze lebt. Zahlreiche Gedichte sind ansprechend, ja berührend, genannt sei zum Beispiel »Status vereintes Land« der gelernten Juristin Regine Mönkemeier (Schleswig-Holstein) mit der behutsamen Einschätzung: »Die gemeinsame Zeit ... verwandelte Fremdland Ost und Fremdland West.«

 

Insgesamt verführt die Lektüre des Buchs zu einer Frage, die Willy Brandt ausgespart hatte: »Wie lange noch wächst zusammen, was lange nicht zusammengehörte?«                                   

 

Elke Lang

 

Klaus Rainer Goll/Klaus Körner/Till Sailer (Hg.): »Grenzfälle: Texte aus Brandenburg und Schleswig-Holstein«, Verlag für Berlin-Brandenburg, 250 Seiten, 15 €

 

 

 

Eine Frau voller Widersprüche

Dass die Chefredakteurin der Arbeiter Illustrierten Zeitung (AIZ) Lilly Korpus (1901–1978) und die ihn und sein Werk umsorgende Ehefrau des Dichters Johannes R. Becher ein und dieselbe Person war, mag verwundern. Die glühende Kommunistin und resolute Journalistin, die  eine der interessantesten Zeitschriften der späten 20er Jahre machte, verliebte sich im Exil in Paris, wo sie für Willi Münzenberg arbeitete, in Becher und war von Beginn ihrer Liebe ein fester Halt für den an Depressionen und Heimweh leidenden Dichter. Sie folgte ihm nach Moskau, war wieder Journalistin und Übersetzerin, aber doch vor allem für ihn da. Das war nach der Rückkehr nach Deutschland nicht anders. Anfangs wieder Chefredakteurin, diesmal der Neuen Berliner Illustrierten (NBI) und dann beim Demokratischen Frauenbund Deutschlands (DFD) beschäftigt, nahm die Sorge um den DDR-Kulturminister die erste Stelle in ihrem Leben ein. Nach Bechers Tod kümmerte sie sich fast ausschließlich um die Pflege seines Werkes und war wie viele Witwen recht rigoros in ihrem Anspruch. Aber sie erlitt dabei auch Enttäuschungen, beispielsweise als der Film »Abschied« Walter Ulbricht nicht gefiel.

 

Rolf Harder hat das Schicksal dieser interessanten und widerspruchsvollen Frau sachkundig verfolgt. Der frühere Archivar im Johannes-R.-Becher-Archiv kannte Lilly Becher noch persönlich und ließ es sich nicht nehmen, ihr manches Geheimnis, das sie nicht preisgeben wollte, zu entreißen.        

  

Christel Berger

 

Rolf Harder: »Lilly Korpus, verheiratete Becher. Biographische Notizen.« Edition Schwarzdruck. 151 Seiten, 18 €

 

 

Fontanes »Anleihe«

In diesem Jahr wäre Manfred von Ardenne 110 Jahre alt geworden und zugleich jährt sich sein Todestag zum zwanzigsten Mal. Es ist viel über ihn geschrieben worden, manches davon stimmt auch nicht. Wie bei allen berühmten Zeitgenossen bilden sich Legenden und Halbwahrheiten, die oft die Jahre überdauern. Viele von uns haben in ihrer Schulzeit den bekannten Roman »Effi Briest« gelesen, ohne dabei zu wissen, dass das Schicksal der Großmutter des Physikers, Else Baronin von Ardenne, geb. von Plotho, Theodor Fontane einst dazu inspiriert hat. In seinem Buch »Die Erinnerungen« beschreibt Ardenne seine enge persönliche Beziehung zu seiner Großmutter, die ihm auch die Briefe überlassen hat, welche zu dem Duell mit dem Amtsrichter Hartwig führten. Eine wahre Geschichte, die der Professor 1991 in einem Brief ausdrücklich selbst bestätigt hat.    

 

Ralph Dobrawa

 

 

Walter Kaufmanns Lektüre

Das Buch »Menschenskind« hält sehr gelungen, was der Schutzumschlag verspricht: »Eine Autobiographie in Gesprächen«. Knut Elstermann hat Dagmar Manzel für dieses Vorhaben gewinnen können, sie ist ihm mit ihren Antworten wunderbar entgegengekommen, ist in die Tiefe gegangen, hat sich ihm und uns offenbart. Offen und – ich sage es, wie ich es empfinde – zu Herzen gehend, hat sie sich zu der Vertreibung jüdischer Sänger und Musiker in der Nazizeit geäußert, deren Liedern und Kompositionen sie heute zur Renaissance verhilft, und sie hat Mahnendes zu Auschwitz gesagt: »Damit es nicht vergessen wird … habe ich die Aufgabe, daran zu erinnern, wie weh es tut …, einen Menschen auf so furchtbare Weise zu verlieren.« Ihre Empfindsamkeit – kann es anders sein? – wird ihr Wirken im Leben und auf der Bühne geprägt haben. Mich beeindrucken ihr Familiensinn, ihre Hochachtung für die Leistung ihrer Kollegen und jedes Mitwirkenden an all den hervorragenden Theatervorstellungen, an denen sie teilhatte, ihre Freude an der Film- und Fernseharbeit und, letztlich und immer wieder, an diversen Bühnenauftritten in Berlin und in Deutschland überhaupt. Welch ein Glück, dass sie erst dreißig war, als die Mauer fiel – eine so gesamtdeutsch Erfolgreiche wird, auf ihr Leben in der DDR zurückblickend, schöne Souveränität bewahren. Die bewahrt die Manzel durchaus. In allem, was sie Knut Elstermann zu sagen wusste, zeigte sie sich fair, großzügig und großherzig. Es macht Freude die Gespräche zu lesen, sie wecken Interesse. »Beruflich kann ich aus einer großen Vielfalt wählen. Privat habe ich bestimmte Entscheidungen getroffen, die sehr schmerzhaft waren, aber die für mich wichtig sind, um für die nächsten Jahre und Jahrzehnte vielleicht Kraft zu haben.« Dagmar Manzel sei diese Kraft zu wünschen und, ausgehend von dem, was ich anfangs schrieb, möchte ich mich Barrie Kosky anschließen, dem Intendanten der Komischen Oper: »Die Manzel sagt immer, sie hätte keine jüdischen Wurzeln, aber ich kann das einfach nicht glauben. Ihr jüdischer Humor, wie sie singt und spielt – da muss etwas sein …«                                              

 

W. K.

 

 

Dagmar Manzel: »Menschenskind. Eine Autobiographie in Gesprächen mit Knut Elstermann«, Aufbau Verlag, 239 Seiten, 19,95 €

 

 

 

Tragödie der Freiheit

Die Ausstellungsgruppe der Redaktion telegraph stellte im vergangenen Jahr gemeinsam mit der Bibliothek der Freien und dem Prometheus Antiquariat – alle in Berlin – zum Spanischen Bürgerkrieg eine Wanderausstellung zusammen. Jetzt ist dazu als telegraph-Sondernummer ein Katalog erschienen. In dessen Vorwort heißt es: »Am 17. Juli 1936 putschten Teile des spanischen Militärs gegen die seit 1931 bestehende Republik, zunächst in der Kolonie Marokko, dann in Spanien selbst. Der Putsch, der von Monarchisten, Faschisten u.a. unterstützt wurde, scheiterte aber vielerorts am Widerstand von AnarchistInnen, SozialistInnen, anderen Linken und RepublikanerInnen. Hiermit begann der Spanische Bürgerkrieg, an dem sich zudem außerspanische Kräfte beteiligten, darunter Nazi-Deutschland und das faschistische Italien, weshalb es nicht nur ein Bürgerkrieg war. Er endete im April 1939 mit dem Sieg der Putschisten, gefolgt von einer bis 1975 andauernden Diktatur.«

 

In 20 Kapiteln, der »Vorgeschichte und Kriegsursachen« bis zu »Erinnerungsorte« ist das Thema »Tragödie der Freiheit« im Katalog aufgefächert. Umfassend und facettenreich ist die Information, die der Leser über den Spanischen Bürgerkrieg bekommt.

 

Karl-H. Walloch

 

Katalog »Tragödie der Freiheit. Revolution und Krieg in Spanien (1936 -1939). Fragmente«, telegraph-Sondernummer, 199 Seiten, 12 €. Infos, Bestellung, Ausstellungsverleih: http://telegraph.cc/. Interessierte können die Ausstellung kostenfrei bei Übernahme der Transportkosten leihen.

 

Die Ausstellung wird im Rahmen der 15. Linken Buchtage Berlin vom 16. bis 18. Juni im Kreuzberger Mehringhof gezeigt.

 

 

 

Urteilsvermögen

Christina Wand, Richterin am Amtsgericht Rosenheim, hat den Münchner Aktionskünstler Wolfram P. Kastner wegen Sachbeschädigung und »Hinwegsetzen über die Eigentumsverhältnisse anderer« zu 150 Tagessätzen à 15 Euro verurteilt. Sein Delikt: Er hat was dagegen, dass auf dem Friedhof der Fraueninsel im Chiemsee auf einer Grabstätte von Jodls Ehefrauen ein ehrendes Kreuz für den Nazi-General Alfred Jodl rumsteht, ohne dass auf dessen Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs hingewiesen wird. Jodl war unter anderem verantwortlich für die Aushungerung von Leningrad mit mehr als einer Million Toten. Und für den berüchtigten Kommissarbefehl. Im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher wurde er 1946 zum Tode verurteilt und hingerichtet, seine Asche wurde in einen Nebenarm der Isar gestreut.

 

Dieser geschichtliche Hintergrund interessierte die Richterin offenbar nicht. Auch nicht, dass Kastner sich zunächst mit (vergeblichen) Eingaben und Petitionen um die Entfernung des in den 1950er Jahren errichteten Schandmales bemüht hatte, bevor er es mehrfach mithilfe einer Tafel beziehungsweise mittels roter Farbe oder durch Entfernung des »J« von dem Namen (Odl = bayerisch: Jauche) und Einsendung des metallenen Buchstabens an das Deutsche Historische Museum in Berlin öffentlichkeitswirksam veränderte. Man fragt sich, was eine Richterin am Amtsgericht Rosenheim überhaupt interessiert.

 

Bei ihrem Amtsantritt im letzten Jahr teilte die Pressestelle des Gerichts mit, dass Christina Wand »ein großes Herz für Tiere« habe und ihre Freizeit »gern auf dem Gnadenhof in der Nähe von München, einem Tierheim für verletzte und vernachlässigte Tiere« verbringe. Ja, dann.                          

 

Renate Hennecke

 

 

 

 

 

 

Schräg gegenüber

Gleich schräg gegenüber, in der jetzigen Bundesallee, wohnte und praktizierte Else Weil, die Claire Pimbusch aus Tucholskys Rheinsberg-Novelle, mit der der mehrpseudonymische Autor in erster Ehe auch mal unglücklich verheiratet war. Am Hause befindet sich heute eine Gedenktafel. Der jüdischen Ärztin wurden vom Naziregime erst die Approbation aberkannt, dann berufsnahe Tätigkeiten versagt. Ihre Lebensspuren verloren sich auf dem Transport nach Auschwitz. Diese und weitere Informationen streute Günter Rüdiger, künstlerischer Leiter, Schauspieler, Regisseur, Musiker, Zauberer, Plätze-Vormerker, Getränkeanbieter und Eminenz vor und hinter der Bühne in sein Programm »Wo kommen die Löcher im Käse her?« ein – eine gelungene Mischung politischer Texte, musikalischer Highlights, menschlicher Befindlichkeiten und anregender Tatsachen von und über Tucholsky. Besonders beeindruckend war für mich, wie Günter Rüdiger das titelgebende Familiendrama als Solist bewältigte.

 

Der ehemalige »Märchenbrunnen« in der Steglitzer Bornstraße wurde im Februar 2010 unter der Intendanz von Günter Rüdiger als Zimmertheater Steglitz neu eröffnet und um die Sparten Kabarett und Satire, Literarische Kleinkunst und Musik erweitert. Dabei blieb die Erzählbühne als Theater für Kinder und Familien bestehen, und zugleich bietet das umtriebige Mini-Ensemble Workshops für das Schreiben, Inszenieren und Aufführen an. Was Günter Rüdiger und sein Team aus der kuschligen, circa 30 Plätze bietenden Atmosphäre eines Wohnzimmers machen, ist bewunderungswürdig. Das Theaterchen ist hautnah, die Künstler stolpern über die Zuschauer und umgekehrt. Die Vielfalt des Programms lässt kaum Wünsche offen, produziert höchstens neue, und wer sich als Gast auf der kleinen Bühne für große Kleinkunst präsentieren will, findet nicht nur ein gastliches Haus, sondern beim Chef und seinem Equipment auch offene Ohren.

 

Günter Rüdiger ist ein freundlicher und bescheidener Mensch, dessen künstlerische Biografie man erst zur Kenntnis nehmen kann, wenn man sie schriftlich abfordert. Seit über 30 Jahren Schauspieler, Sänger und Regisseur, Engagements an renommierten Berliner Bühnen und Kabaretts, Gastspiele in Europa und Amerika, CD- und Schallplattenveröffentlichungen. Am Tucholsky-Spieltag verwies er auf die langjährige Mitarbeit des Publizisten an der Weltbühne und auf das Nachfolge-Periodikum Ossietzky. Dass er dessen jüngste Ausgaben im interessierten Publikum herumreichte, war kein Zufall.

 

Wolfgang Helfritsch

 

Nächste Aufführung des Tucholsky-Programms: 18. Juni, 19 Uhr, gesamter Spielplan unter: www.zimmertheater-steglitz.de/

 

 

 

 

Kurz notiert

Perfektion ist die zwanghafte Reproduktion des Mittelmaßes.

*

Nur wenn ein Riese liegt, begegnet man ihm auf Augenhöhe.

*

Erst wenn der Fortschritt altersmüde sich dem Grab zuneigt, scheint er dem Konservativen eine Sache mit Zukunft zu sein.

*

Wer gegen den Strom schwimmt, wird nie das Meer erreichen.

*

An jeder heiligen Schrift hat der Teufel mitgeschrieben.

 

Norbert Büttner