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Titel1312

Zwangsarbeit – dort oder hier  (Borvin Wulf)

Was ein guter politischer Gefangener ist und was ein schlechter, was gute Zwangsarbeit ist und was schlechte, wird nach Staatsräson entschieden. Politische Gefangene in der ehemaligen DDR waren per se die Guten, die politischen Gefangenen der alten BRD, soweit sie überhaupt je wahrgenommen wurden, allemal die Schlechten, die Bösen.

Ähnlich verhält es sich mit der Zwangsarbeit in den Haftanstalten in Ost und West. Zwangsarbeit in der DDR war selbstverständlich schlecht, in Westdeutschland ebenso selbstverständlich gut, soweit man sich für letztere überhaupt interessierte.

Die Springer-Presse hob neulich ins Blickfeld, daß eine schwedische Fernsehanstalt eine Sendung angekündigt hatte, derzufolge das schwedische Möbelhaus IKEA einen Teil seiner Möbel jahrelang in der DDR habe fertigen lassen – von schamlos ausgebeuteten Zwangsarbeitern, vor allem solchen, die politische Gefangene waren. Wegen des Zwanges und wegen schlechter Arbeitsbedingungen seien viele von ihnen krank geworden; manche litten noch immer darunter.

Prompt hüpften auch andere Medien –immer bereit, die DDR als Abgrund des Bösen darzustellen – auf das Thema Zwangsarbeit. Die Frankfurter Rundschau füllte mit diesem »Thema des Tages« gleich zwei Seiten; sie beschuldigte neben IKEA auch westdeutsche Firmen wie Quelle, Salamander und Neckermann, Vertragspartner der DDR-Außenhandelsorgane gewesen zu sein. Allesamt hätten sie des Profits wegen – in solchen Fällen verabscheut die Konzernpresse plötzlich den Profit – frühzeitige Hinweise auf diese Menschenrechtsverletzungen ignoriert, obgleich Zwangsarbeit gemäß den Bestimmungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) seit 1957 verboten gewesen sei. Unter der Überschrift »Schuften für ein paar DDR-Mark« hielt die FR das Thema einige Tage später am Kochen, und nach weiteren zwei Tagen folgte ein Artikel über »DDR-Unrecht an politischen Gefangenen«. Ein typischer Fall von Kampagnenjournalismus.

Eine solche Anti-DDR-Kampagne hat allemal den Zweck, von den Verhältnissen auf der eigenen guten westdeutschen Seite abzulenken. Wer sich aber speziell für die Verhältnisse in westdeutschen Haftanstalten in der Zeit zwischen den 1950er Jahren und 1989/90 interessiert, wird unschwer feststellen können, daß sie für die politischen, aber auch für die anderen Gefangenen um keinen Deut besser waren.

Knastarbeit, die als »Baustein zur Resozialisierung«, also zur Wiedereingliederung in das gesellschaftlich System gilt, wird bis heute erzwungen. Arbeitsverweigerung kann zum Ausschluß vom Sport, vom Gemeinschaftsfernsehen, von der Teilnahme an Gesprächsgruppen, Filmvorführungen oder am gemeinschaftlichen Hofgang führen, zum Telefon- und Einkaufsverbot, zum Entzug der eigenen Musikanlage und der eigenen Musik- und Sprachkurs-Disketten; sie kann auch Einschränkung oder Verbot des Briefverkehrs zur Folge haben, Trennung von Besuchern durch eine Scheibe, Verbot der Benutzung der Gemeinschaftsküche, kurz verstärkte Isolation. Verweigerern von Zwangarbeit können die Haftkosten in Rechnung gestellt werden; bei Zahlungsunfähigkeit ist eine Ersatzhaftstrafe üblich. Außerdem verschlechtert Arbeitsverweigerung die sogenannte Sozialprognose, von der es abhängt, ob Gefangene Freigang oder mehr Besuch bekommen oder zeitweilig die Anstalt verlassen dürfen und ob sie, wenn zwei Drittel der Strafe verbüßt sind, vorzeitig entlassen werden.

Wer gegen die Erniedrigungen opponiert, also »sicherheitsrelevante Auffälligkeiten« (Strafgesetzbuch) zeigt oder gar solidarische Bambule organisiert, riskiert, von der S-Gruppe (S steht für »Sicherheit«) »hart angefaßt« zu werden. Er kann in einer B-Zelle landen, im Klartext Bunker, euphemistisch »Beruhigungszelle« genannt, in der es kein Tageslicht und nichts anderes als Beton gibt. Viele ehemalige Gefangene westdeutscher Haftanstalten berichten, daß sie in solchen Zellen ihre Notdurft über einem Loch im Zellenboden verrichten mußten und keinen Wasserhahn, geschweige ein Waschbecken hatten und daß Häftlinge, wenn sie vor Verzweiflung längere Zeit weinten oder schrien, mit Psychopharmaka ruhiggestellt oder auf der Betonpritsche festgeschnallt wurden. Wer haftet hier für psychische Folgeschäden? Ja, wenn sie in der DDR gesessen hätten ...

Übrigens: Gibt es Zwangsarbeit nur im Knast? Sollten wir nicht auch »Hartz IV«, eingeführt von Rot-Grün, zutreffend als Zwangsarbeitssystem bezeichnen?