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Titel1516

Himmlische Geschenke  (Jane Zahn)

gibt es ja eigentlich nur zu Weihnachten. Erdoğan hat seines schon jetzt ausgepackt: Ein dilettantischer Putsch einiger Militärs – von ihm als Geschenk des Himmels bezeichnet – ermöglicht es ihm, alle eventuellen Gegner loszuwerden und zigtausend staatliche Stellen mit seinen Parteigängern zu besetzen. Zugleich dürfen türkische Wissenschaftler nur noch im eigenen Saft schmoren und nicht mehr ins Ausland reisen. Die Wiedereinführung der Todesstrafe ist nur das Geschenkschleifchen auf dem ganzen Paket. Die EU soll sich nicht so haben! Die macht doch auch mit den USA Verträge.

 

Der Berliner Innensenator Henkel schenkt sich den Räumungsantrag des Eigentümers, um die Rigaer Straße 94 zu besetzen. »Der Rechtsstaat ist nicht verhandelbar« – von wegen! Ohne Rechtstitel keine Räumung, haute dem Senator das Gericht um die Ohren. Dabei wollte er doch nur sich selbst ein himmlisches Geschenk bereiten im Angesicht der bevorstehenden Senatswahlen. Da kann man richtig gut verstehen, warum Erdoğan als erstes 2745 Richter entlassen ließ.

 

Nigel Farage, der Vorsitzende der rechtspopulistischen britischen Unabhängigkeitspartei Ukip, hat gleich zwei himmlische Geschenke bekommen: Er hat sein Land zurück und sein Leben. Gleich nach dem Sieg im Referendum über den Austritt Großbritanniens aus der EU trat er mit dieser Begründung von seinem Amt als Parteivorsitzender zurück.

 

Die NATO hat auch was zu verschenken: »Schutz« durch Kampftruppen. Denn: »Es gibt Länder wie etwa die neuen Mitgliedsstaaten in Ost- und Mitteleuropa, die sagen: ›Wir brauchen mehr Schutz gegenüber der Sowjetunion (sic!).‹« (Kanzleramtsminister Peter Altmaier im Deutschlandfunk am 26. Juni 2016) Ist das nicht ein etwas verspätetes Geschenk? Und was sagt es über die Weltsicht im Kanzleramt? Sollte man Herrn Altmaier mal ein Geschichtsbuch für neuere Geschichte schenken?

 

Die EU schenkt Spanien und Portugal nichts, die müssen für ihre Übertretung der Verschuldungsgrenzen Strafen zahlen. Frankreich muss das nicht. »Weil es Frankreich ist«, sagt EU-Kommissionspräsident Juncker in »hart aber fair« (zitiert nach jW, 1.6.16). Deutschland muss sowieso kein Verfahren fürchten, es hat ja die schwarze Null als Finanzminister.

 

Das Freihandelsabkommen CETA soll auch so ein himmlisches Geschenk werden: Die Parlamente sollen es gar nicht mehr zu Gesicht bekommen, es kann gleich in Kraft treten. Damit die Parlamentarier nicht in Versuchung kommen, es abzulehnen. Womöglich könnten sie noch »aus Hasenfüßigkeit« solch »eine schwierige politische Entscheidung dem Wähler überlassen«. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hält »Referenden in den meisten Fällen für unnötig«, zitieren zahlreiche Medien den Politiker nach einem Gespräch mit der Welt am Sonntag zum Brexit-Referendum.

 

Frieden ist kein himmlisches Geschenk. Das haben orthodoxe Christen in der Ukraine erkannt. Eine Friedensprozession der Orthodoxen Kirche bewegt Tausende von Menschen von Osten und Westen her auf Kiew zu. Die »Wallfahrt für Liebe, Frieden und die Ukraine« wird von der Ukrainischen Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats organisiert. In westlichen Konzernmedien ist nichts davon zu hören und zu sehen, im Internet gibt es Videos, die einen unübersehbaren Demonstrationszug zeigen, dem Heiligenbilder vorangetragen werden und in dem neben Popen ein bunter Querschnitt der Bevölkerung läuft, Alte und Junge, Frauen und Männer. Die Kiewer Regierung bestätigt die Ereignisse dadurch, dass sie sie eine Provokation des russischen Geheimdienstes KGB nennt. Die Wallfahrt soll bestens organisiert sein, und es sollen sich ihr immer mehr Menschen anschließen. Am 27. Juli, nach Redaktionsschluss, wollen die Teilnehmer in Kiew ankommen und dort ihre Gebete für Frieden – ein Geschenk, das nur von Menschen gemacht werden kann – beenden.