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Titel1820

»Extremismusbekämpfung« auf deutsche Art  (Martin Kutscha)

Sind es wirklich nur einzelne »schwarze Schafe« in den Sicherheitsbehörden Deutschlands, die in der rechten und rassistischen Szene aktiv sind? Die inzwischen bekanntgewordenen Fakten sprechen eine andere Sprache: Erinnert sei hier nur an die Flut von Droh-E-Mails, die mit »NSU 2.0« unterzeichnet sind und vor allem an linke Politikerinnen versandt werden. Etliche der darin enthaltenen persönlichen Daten stammen aus hessischen Polizeicomputern. Eine vermutlich von rechten Tätern verübte Anschlagsserie in Berlin-Neukölln konnte seltsamerweise bis heute nicht aufgeklärt werden. Zwei damit befassten Staatsanwälten wurde die Fallbearbeitung entzogen, nachdem sie in den Verdacht geraten waren, mit Rechten zu sympathisieren. Offenbar sind unsere wegen ihrer angeblichen Objektivität gerühmten Sicherheitsbehörden keineswegs immun gegenüber rechten und antidemokratischen Positionen und Ideologien. Die Mitglieder rechter Netzwerke, so schreibt der Politikwissenschaftler Luca Heyer, »sind über die ganze Bundesrepublik verteilt und rekrutieren sich hauptsächlich aus Bundeswehr, Polizei, Geheimdiensten, Justiz und AfD«.

 

Inzwischen hat der Verfassungsschutz den Auftrag erhalten, aufzuklären, welche Staatsbediensteten in »extremistischen« Netzwerken aktiv sind. Damit wird freilich der gefräßige Bock zum Gärtner des Demokratieschutzes gemacht. Viele PolitikerInnen haben offenbar vergessen, dass die Verfassungsschutzämter beim »Kampf gegen den Rechtsextremismus« bisher auf ganzer Linie versagt haben, ja schlimmer noch: Statt bei der Aufklärung des terroristischen Netzwerkes rund um den »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) und dessen über viele Jahre anhaltende Mordserie tatkräftig mitzuwirken, wurde die polizeiliche Ermittlungsarbeit zum Beispiel in Thüringen gezielt behindert und die eigene Verstrickung in die Neonaziszene durch die zahlreichen V-Leute der »Ämter« systematisch vertuscht. Der Bürgerrechtler und Ossietzky-Mitherausgeber Rolf Gössner zieht denn auch ein vernichtendes Fazit: »Der Verfassungsschutz hat nicht nur im NSU-Komplex, sondern insgesamt rechtsextreme Szenen, Netzwerke, Organisationen und Parteien, die er lediglich beobachten soll, nicht etwa wirklichkeitsnah erfasst, beurteilt und geschwächt, sondern vielfach über seine bezahlten Spitzel mitfinanziert, geschützt und bestärkt. Über sein unkontrollierbares V-Leute-System verstrickte er sich heillos in kriminelle und mörderische Machenschaften. Auf diese Weise ist der Verfassungsschutz selbst Teil des Nazi-Problems geworden, jedenfalls konnte er kaum etwas zu dessen Lösung oder Bekämpfung beitragen.«

 

Eigentlich besteht die gesetzliche Hauptaufgabe der Verfassungsschutzämter darin, Informationen über »Bestrebungen« gegen unsere demokratische Verfassungsordnung zu sammeln und auszuwerten (§ 3 Abs. 1 Bundesverfassungsschutzgesetz). Stattdessen verstehen die »Ämter«, sekundiert von PolitikerInnen und Medien, ihre Aufgabe in der Aufklärung und Bekämpfung des »Extremismus«. Mit diesem unscharfen Begriff werden höchst unterschiedliche Aktivitäten politisch absichtsvoll in einen Topf geworfen – das Spektrum reicht dabei von terroristischen rechten Netzwerken über gewalttätige Islamisten bis hin zu engagierten UmweltschützerInnen und Personen, die zum Beispiel die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen fordern. »Extremist« kann jeder oder jede sein, der oder die von den Ämtern nicht zur – wie auch immer definierten – politischen »Mitte« gerechnet wird. Damit entscheiden nicht mehr objektive Kriterien über die Verhängung dieses politischen Verdikts, sondern das Maß der Distanz gegenüber der politischen »Mitte«, die damit per se als das Positive erscheint. Vor allem mit der fragwürdigen Hufeisentheorie wird suggeriert, dass die Demokratie durch die »Extreme« von rechts und links bedroht werde. Dabei belegen zahlreiche empirische Untersuchungen, dass rassistische und antidemokratische Einstellungen kein Randproblem darstellen, sondern tief in die Mitte der Gesellschaft reichen und eben auch in Teilen des Staatsapparates anzutreffen sind.

 

Der politische Kampfbegriff des »Extremismus« findet sich denn auch mit guten Gründen weder im Grundgesetz noch im Bundesverfassungsschutzgesetz, wohl aber seit einigen Jahren in der Abgabenordnung, dem Grundlagengesetz zum Steuerrecht. Nach deren § 51 fehlt einer Organisation die Gemeinnützigkeit, wenn sie »im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt« wird. Im bayerischen Verfassungsschutzbericht – und nur in diesem – wird die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) als »linksextremistisch beeinflusste Organisation« aufgeführt. Dies reichte dem Berliner Finanzamt für Körperschaften I, der Bundesvereinigung der VVN-BdA, immerhin einer im Kampf gegen neonazistische Bestrebungen besonders aktiven Verfolgtenorganisation, die Gemeinnützigkeit abzuerkennen. Übrigens: Oberster Chef aller Finanzämter ist der SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz. Wir dürfen gespannt sein, wie das von der VVN-BdA angerufene Gericht diese massive staatliche Diskriminierung einer entschieden antifaschistischen Vereinigung mithilfe des »Extremismus«-Begriffs beurteilen wird.

 

 

Alle Zitate aus und mehr zum Thema in: Cornelia Kerth/Martin Kutscha (Hg.): »Was heißt hier eigentlich Verfassungsschutz? Ein Geheimdienst und seine Praxis«, PapyRossa Verlag, 148 Seiten, 12,90 €