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Titel2216

Die Macht der Banken und Konzerne  (Winfried Wolf)

Wenn man entsprechend einer grundsoliden marxistischen Ausbildung behauptet, dass in unserer Gesellschaft Konzerne und Banken – revolutionäre Umtriebe einmal ausgeblendet – eine lupenreine und überwiegend erfolgreiche Interessenspolitik betreiben, dann wird einem in der Regel entgegengehalten: Wo denn? Nennen Sie uns da Beispiele! Diesen Entgegnungen seien im Folgenden beantwortet – mit den drei konkreten Beispielen VW, Airbus und Fraport.

 

 

Beispiel Nr. 1: Der VW-Konzern

Die VW-Geschichte ist in den groben Zügen bekannt. Gründung 1938 als NS-Musterfabrik mit Paradeprogramm zur »Volksmotorisierung«. Das Grundmodell, der spätere »VW-Käfer«, war der »Kraft-durch-Freude-Wagen«, der als Kübelwagen Karriere im Krieg machte. Die Familien Porsche und Piëch zählten von Anfang an zum Gründungspersonal und waren ganz vorne an der Front, sei es im Einsatz von VW im Krieg bis 1945, sei es im Einsatz von VW im Wirtschaftskrieg nach 1945. Die Kraft-durch-Freude-Stadt wurde direkt nach dem Zweiten Weltkrieg umbenannt in »Wolfsburg«, wobei »Wolf« ein Deckname von Adolf Hitler vor 1933 war. Bis in die 1950er Jahre hinein gab es in Wolfsburg Rekordergebnisse für NS-Nachfolgeparteien.

 

Zeitsprung. In der aktuellen Affäre wird zwar oft hervorgehoben, dass die Konzernpolitik, die in »Dieselgate« mündete, eine abenteuerliche sei. Übersehen wird jedoch, dass dies ein Kontinuum in der VW-Konzernpolitik ist. Einmal abgesehen vom Verbrecherabenteuer Zweiter Weltkrieg gab es drei solcher vergleichbarer Offensiven, die alle drei in einer existenziellen Krise endeten.

 

In den 1960er und frühen 1970er Jahren setzte VW unter dem Generaldirektor Nordhoff, einem Ex-NS-Wehrwirtschaftsführer, der bis 1945 als Opel-Werksleiter die Lkw für den Nazi-Terrorkrieg hatte fertigen lassen, so gut wie ausschließlich auf das Modell Käfer. Diese abenteuerliche Ein-Modell-Politik orientierte in starkem Maß auf aggressiven Export und auf den US-Markt. In Westmoreland, USA, errichtete VW 1978 ein Werk. Doch die weltweite Krise 1973/74 und die wachsende Konkurrenz vor allem aus Japan erschütterten inzwischen diese Konzern-Politik. VW durchlebte eine existenzielle Krise. 1988 musste sogar das US-Werk geschlossen werden.

 

Eine zweite aggressive Offensive wurde 1993 gestartet – nur wenige Wochen nachdem Ferdinand Piëch, der Enkel des NS-Wehrwirtschaftsführers Ferdinand Porsche, VW-Chef geworden war. Damals warb die VW-Spitze 30 Manager von General Motors (GM) ab. Deren Top-Mann war José Ignacio López. Die gesamte Truppe, deren Mitglieder sich als »Kämpfer« bezeichneten, bestand überwiegend aus Spaniern und Basken. Die López-Leute hatten beim Überlaufen von GM zu VW GM-interne Dokumente mit Zehntausenden Seiten entwendet, um sie für VW nutzbar zu machen. Unter anderem ging es um den Bau einer Fabrik für ein Billig-Modell. Das Ganze entwickelte sich zu einem Wirtschaftskrieg zwischen der BRD und den USA, in den auch Kanzler Kohl und der niedersächsische Ministerpräsident Schröder eingriffen – für VW Partei nehmend. 1998 musste VW kapitulieren, an GM eine saftige Entschädigung zahlen und alle baskischen »Krieger« (bis auf einen) entlassen. Dieser eine Verbliebene war Francisco J. Garcia Sanz, der auch heute im VW-Vorstand für Beschaffung und die Zulieferer verantwortlich zeichnet und sich im Sommer 2016 eine blutige Nase in der Auseinandersetzung mit einem cleveren bosnischen Zulieferer holte.

 

Ausgangspunkt der aktuellen Krise »Dieselgate« war, dass Piëch 2003 das Ziel vorgab, VW müsse »bis 2018« der größte und profitabelste Autohersteller der Welt sein. Für die Offensive sollten vor allem Diesel-Modelle auf dem US-Markt aggressiv platziert werden. Anfang 2015 war VW tatsächlich ein paar Wochen lang am Ziel Weltspitze. Obgleich das VW-Top-Management seit Ende 2014 darüber informiert war, dass die US-Umweltbehörden wegen krimineller Manipulation an den VW-Diesel-Motoren recherchierten, wurde der aggressive Kurs bis zur Internationalen Automobilausstellung (IAA) vom September 2015 fortgesetzt.

 

Die Ergebnisse sind bekannt: Aufgedeckt wurde, dass VW die Software aller Diesel-Modelle manipuliert hatte; dass der tatsächliche Ausstoß des Schadstoffs NOx um ein Vielfaches höher ist als offiziell angegeben. Deutlich wurde auch, dass mittlerweile die meisten Autohersteller eine vergleichbare Praxis bei den Diesel- und den Benzin-Motoren verfolgen. Was heißt: Alle Autohersteller weisen die Angaben zum Kraftstoffverbrauch deutlich zu niedrig aus; die CO2-Emissionen im Straßenverkehr und damit die vom Pkw- und Lkw-Verkehr ausgehende Klimabelastung ist wesentlich höher als bislang »errechnet«.

 

Bilanz: Es gibt eine Kontinuität in der VW-Politik seit 1938. Über den Umweg Brüssel dürfte das VW-Gesetz demnächst neu in Frage gestellt werden. Dann könnte es bald einen deutschen Autokonzern geben, der sich mehrheitlich im Eigentum einer Familien-Dynastie befindet, die auf eine kaum gebrochene Kontinuität seit der NS-Zeit zurückblickt. Dieselgate mag für den Konzern im Endergebnis ein finanzielles Desaster sein. Doch die Unternehmenspolitik zur Manipulation der Emissionswerte ist längst bestimmend für die gesamte internationale Autobranche.

 

 

Beispiel 2: Airbus, konkretisiert mit dem Modell A380

Am 27. April 2005 fand in Toulouse der Jungfernflug des Airbus-Modells A380 statt. Das war dem ZDF eine zweistündige Jubelfeier wert. Gefeiert wurde »ein Sieg Europas über die USA«; Airbus vor Boeing. 650 Sitzplätze im A380 gegenüber »nur« 416 im Boeing-Jumbo. Das hinter dem A380 stehende Hub-and-Spoke-Konzept lautete: Weltweit sollte es ein Dutzend gigantische »Luftdrehkreuze« geben, die von Gigalinern wie dem A380 angeflogen werden. Von dort sollten dann tausende »Feeder«-Flüge zu den dezentraleren Destinationen gehen. In diesem Gesamtsystem sollten drei Viertel des Weltflugverkehrs abgewickelt werden.

 

Diese Strategie scheiterte zum größeren Teil. Der Luftverkehrsmarkt ist heute – neben der Orientierung auf große Drehkreuze – vor allem von Direktverbindungen zwischen regionalen Zentren geprägt. Weswegen »kleinere« Modelle (mit 250 bis 400 Sitzplätzen) und mehr Sprit sparende Modelle den Markt beherrschen. So vor allem das Boeing-Modell 787 (»Dreamliner«) und der Airbus-Konkurrent A350.

 

Im Jahr 2005 hatte es offiziell geheißen, ab 451 verkauften A380-Jets sei die Rentabilität erreicht. Bis Sommer 2016 lieferte Airbus erst 192 Maschinen vom Typ A380 aus. Bei der inzwischen auf ein A380-Exemplar im Monat (zwölf per annum) gesenkten Jahresproduktion wird die behauptete Rentabilität 2037 erreicht. Damit entwickelt sich der A380 zum Desaster: Zwölf Milliarden Euro Entwicklungskosten, darunter mindestens fünf Milliarden Euro staatliche Zuschüsse wurden verbrannt.

 

Bilanz: Trotz des Scheiterns hat diese abenteuerliche Politik extreme Auswirkungen: In Finkenwerder bei Hamburg wurde ein Elbe-Naturschutzgebiet zerstört; Enteignungen wurden trotz massenhafter Proteste vorgenommen, um eine A380-Landebahn auf dem Airbus-Werksgelände zu schaffen. Weltweit entstanden gigantische Drehkreuze. Vor allem die Golf-Airlines (Emirates, Etihad und Qatar) nahmen zusammen fast die Hälfte (!) der ausgelieferten A380 ab und setzen auf ihre Golf-Drehkreuze. Der Textilkonzern Inditex (Marke »Zara«) lässt die in Asien erstellten Textilien von Emirates über das Dubai-Drehkreuz nach Europa fliegen. Dabei wird die extrem ausbeuterische Textilherstellung in Pakistan, Malaysia und Myanmar verbunden mit der das Klima und die Umwelt am stärksten schädigenden Transportform. Dadurch wiederum wird der schnelle (mindestens halbjährliche) Rhythmus in der Modebranche nochmals befeuert.

 

 

Beispiel 3: Fraport und Griechenland

Die Bilanz der Griechenland-Krise ist bekannt: Sieben Jahre tiefe Krise; Abbau von Arbeitseinkommen und Renten um 35 bis 40 Prozent; 30 Prozent der Bevölkerung haben keine Krankenversicherung mehr. Vor allem kommt es zu einem flächendeckenden Prozess der Privatisierung. Einer der größten Deals in diesem Zusammenhang wurde von Fraport gemacht.

 

In Griechenland gibt es 3000 Inseln. 87 sind bewohnt; 46 haben einen Regionalairport. Der Flugverkehr zu den Inseln bildet eine wichtige Versorgungsstruktur. Nun pickte sich Fraport 14 dieser Airports heraus – die gewinnbringenden. Der Staat bleibt auf den 32 verlustreichen sitzen. Formal handelt es sich im Übrigen um eine Lizenzvergabe für den 40-jährigen Betrieb. Die Haltbarkeit einer Start- und Landebahn-Betondecke beträgt 40 Jahre.

 

Der ehemalige und heutige Syriza-Infrastrukturminister Christos Spirtzis erklärte im Juni 2015: »Dieses [Fraport-]Modell passt eher zu einer Kolonie als zu einem EU-Mitgliedsstaat.« Anfang 2016 unterzeichnete er dann doch den Deal. Der Chef der griechischen Privatisierungsbehörde Stergios Pitsiorlas kommentierte dies mit den Worten: »Ich achte die Haltung des Ministers, der den Vertrag nun doch, wenn auch mit großen Schmerzen, unterzeichnet hat und der trotz seiner abweichenden Meinung das Voranschreiten dieser Entscheidung nicht behinderte.« (Zitiert bei: Griechenland-blog vom 20. Dezember 2015 (www.griechenland-blog.gr/2015/12/fraport-uebernimmt-flughaefen, abgerufen 16.1.2016).

 

Bilanz: In Griechenland praktiziert die EU mit der Troika Protektoratspolitik, die von Konzernen teilweise mit Kolonialpolitik untersetzt wird. »Kolonialismus« meint, wenn ein starkes Land sich die Ressourcen eines Schwächeren aneignet. Beim Fraport-Deal wird öffentliches griechisches Eigentum zum Eigentum eines Unternehmens, das sich in deutschem öffentlichem Besitz befindet: 31,3 Prozent der Fraport-Anteile hält das Land Hessen, 20 Prozent die Stadt Frankfurt, 8,5 Prozent Lufthansa. Wobei die Kontrolle über die Flughäfen mit einem erheblichen Einfluss auf den gesamten Tourismus, der zwölf Milliarden Euro Umsatz im Jahr bringt, verbunden ist.

 

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Die deutsche Wirtschafts- und Konzernmacht lässt ein Europa entstehen, das unter deutscher Hegemonie steht. Ich habe in früheren Beiträgen gelegentlich ein Zitat gebracht, das die damit zum Ausdruck kommende Strategie des deutschen Kapitals aufscheinen lässt; es lautet: »Die Einigung Europas […] ist eine zwangsläufige Entwicklung. […] Die Lösung der europäischen Frage kann nur auf föderativer Basis herbeigeführt werden […] Ziel ist eine europäische Zollunion und ein freier europäischer Markt, europäische […] feste Währungsverhältnisse mit dem späteren Ziel einer europäischen Wirtschaftsunion.« Inzwischen habe ich im Rahmen von Recherchen zu einem neuen Buch zum Ersten Weltkrieg ein anderes, nochmals weiter zurück liegendes Zitat mit derselben Tendenz gefunden. Es lautet: »Unter diesen Umständen erscheint es als der stärkste Umschwung unserer Politik, wenn wir Frankreich zu einem freiwilligen Frieden gewinnen. […] Das Endziel wäre der Zustand, der allein ein [sinnvolles] künftiges Gleichgewicht Europa bringen kann: Mitteleuropa geeinigt unter deutscher Führung – gegen England und Amerika einerseits, gegen Russland andererseits politisch und wirtschaftlich gefestigt.[…] Es ist die deutsche Aufgabe, den alteuropäischen Körper zu verwalten und zu stärken.«

 

Das erste Zitat ist einer Denkschrift des Auswärtigen Amtes, »Über die Schaffung eines Europäischen Staatenbundes«, entnommen und datiert auf den 9. September 1943. Das zweite Zitat stammt von dem AEG-Industriellen Gründer Walther Rathenau und stammt vom 7. September 1914.

 

Das heißt: Aufgeklärte deutsche Unternehmer wollten bereits im Ersten Weltkrieg – und wohlgemerkt als Resultat des Angriffskriegs! – eine »Union des alteuropäischen Körpers« unter deutscher Dominanz schaffen. Dieses Ziel wurde vom NS-Regime, gestützt auf die deutschen Konzerne und Banken, auch mit dem Zweiten Weltkrieg verfolgt.

 

Vor diesem Hintergrund ist Aufklärungsarbeit, wie es sie jeweils am 3. Oktober auf Einladung von Ossietzky gibt, und wie wir sie mit FaktenCheck:HELLAS im vergangenen Jahr und mit FaktenCheck:EUROPA seit Sommer 2016 betreiben, außerordentlich wichtig.

 

In Stuttgart hat sich mit dem Widerstand gegen Stuttgart 21 eine Basisbewegung entwickelt, die zeigt, dass wir auch heute die Möglichkeit haben, breite Kreise der Bevölkerung für unsere Zielsetzungen zu gewinnen. Sieben Jahre massenhafter Widerstand und 350 Montagsdemos mit jeweils 1000 und mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmern – das dürfte hierzulande ziemlich einmalig sein. Die Losung, mit der man in dieser Stadt – anstelle eines »Grüß Gott« – oft begrüßt wird, lautet »Oben bleiben«. Die Bewegung in Frankreich, die sich im Frühjahr und Sommer 2016 herausbildete, entwickelte mit »Nuits debout!« (etwa »Aufrecht durch die Nacht«) eine Chiffre, die wie eine Weiterentwicklung von »Oben bleiben« erscheint.

 

Wir sollten hierbei ein philosophisches Upgrading vornehmen und unser aller Engagement unter Rückgriff auf Ernst Bloch und Rudi Dutschke unter die Losung stellen: »Aufrecht gehen!«.

 

 

Winfried Wolf ist Chefredakteur von Lunapark21. Er veröffentlichte im Frühjahr zusammen mit Nikos Chilas »Die griechische Tragödie« (Promedia Wien). Im November 2016 erscheint die zweite Ausgabe von FaktenCheck:EUROPA (Bezug siehe: faktencheckhellas.org/faktencheckeuropa/). Der abgedruckte Beitrag beruht auf Winfried Wolfs Vortrag »Wie Banken und Konzerne ihre Interessen durchsetzen« anlässlich der Matinee »Europäische Perspektiven« am 3. Oktober.