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Titel0312

Die Meer-Frau  (Dieter Götze)

Vielen ist Elisabeth Mann Borgese auch zehn Jahre nach ihrem Tod noch in Erinnerung, vor allem durch ihre Mitwirkung an Heinrich Breloers dreiteiligem Dokumentarspiel »Die Manns«. Dabei bestand die Lebensleistung der jüngsten Tochter Katja und Thomas Manns vor allem in ihrem jahrzehntelangen Engagement für eine sozial gerechte Welt, ihrem unverdrossenen Einsatz für Natur- und Umweltschutz.

1918 in München geboren, wurde sie vom Vater bereits kurz nach der Geburt in der Idylle »Gesang vom Kindchen« und der Novelle »Unordnung und frühes Leid« geradezu hymnisch verklärt. Ihr Leben verlief zunächst in bürgerlich-liberalen Bahnen. Die Eltern hätten sie gern als Konzertpianistin gesehen. Entscheidend wurde für sie die Bekanntschaft mit dem italienischen Schriftsteller und Antifaschisten Giuseppe Antonio Borgese (1882–1952), der als Universitätsprofesssor Mussolini den faschistischen Eid verweigert hatte und daraufhin seine Heimat verlassen mußte. Borgese, mit dem sie seit 1939 verheiratet war, zog sie unter anderem zur Mitarbeit in einem von ihm initiierten »Komitee für eine Weltverfassung« heran, in dem er mit anderen progressiven Intellektuellen seine – letztlich utopischen – Vorstellungen vom Zusammenleben der Völker nach Ende des Zweiten Weltkrieges konzipierte. Entmilitarisierung, soziale Gerechtigkeit und Vergesellschaftung der Ressourcen gehörten zu den zentralen Forderungen dieser »Weltverbesserer von Chicago«, mit denen Albert Einstein, Jean-Paul Sartre, Albert Camus und auch Thomas Mann sympathisierten. Im Amerika des berüchtigten Kommunistenjägers Joseph McCarthy waren Projekte dieser Art von vornherein zum Scheitern verurteilt. Jahre später erinnerte sich Elisabeth Mann Borgese: »Wir waren entsetzt, wie weit der Durchschnittsamerikaner das einfach alles mitgemacht hat, das Spionieren vom FBI, die ganze Hexenjagd auf die Kommunisten. Überhaupt die Idee, daß, wenn jemand sich für den Frieden aussprach, er sofort als Kommunist galt und somit die Gefahr bestand, daß er seinen Job verlieren und keinen anderen mehr bekommen würde. Das war eine überraschende und sehr unamerikanische Atmosphäre. Wir etwa, meine Eltern oder Charles Chaplin sahen gar keine andre Möglichkeit, als aus diesem Lande wegzugehen. Man konnte da nicht mehr arbeiten. Ich meine, es war nicht nur die McCarthy-Sache, es war natürlich auch der Koreakrieg und dann später der Vietnamkrieg, wo ja wirklich so viele Greuel passiert sind und wo sich der Durchschnittsamerikaner wirklich genau wie der Durchschnittsdeutsche während der Nazi-Zeit benommen hat. Er wollte es nicht wissen.«

Mitte der sechziger Jahre begann Elisabeth Mann Borgese ihre Aufmerksamkeit verstärkt der friedlichen Nutzung der Weltmeere zuzuwenden. »Die Meer-Frau« war der Ehrenname, den sie dafür erhielt. Sie gründete das Internationale Ozean-Institut auf Malta mit zahlreichen Zweigstellen in aller Welt und arbeitete an der UN-Seerechtskonvention von 1982 mit. Als Professorin für Seerecht im kanadischen Halifax und als Autorin mehrerer gewichtiger Bücher (die leider nie ins Deutsche übersetzt wurden) verfocht sie bis ins hohe Alter den Gedanken einer ausschließlich friedlichen Nutzung der Weltmeere und ihrer Ressourcen, eine Forderung, die angesichts zahlloser Atomwaffen auf U-Booten bis heute aktuell geblieben ist.

Als sie 1987 mit ihrem Bruder Golo Mann die DDR besuchte, lernte ich sie persönlich kennen. Ihre gewinnende, feinsinnige Art, gepaart mit einem entwaffnenden Humor, verschaffte ihr auch im Osten manchen Freund. Die schnelle, vom Westen dominierte Vereinigung Deutschlands nach 1989/90 weckte ihre Skepsis; sie meinte: »Ich mache mir schon Sorgen über die Beziehungen zwischen Westdeutschen und den Ostdeutschen, und etliches, was ich da gesehen habe, begeistert mich nicht.« Bis zum Lebensende behielt sie ihren optimistischen Blick in die Zukunft, verblüffte aber auch immer wieder mit Sätzen wie: »Dem Kapitalismus als solchen gebe ich keine Zukunft. Wir brauchen etwas, das jenseits vom traditionellen Kapitalismus und vom traditionellen Kommunismus ist.« Oder: »Auf kurze Frist, denke ich, wird es in den östlichen Ländern zu einer großen Enttäuschung über die Marktwirtschaft kommen.« Daß Elisabeth Mann Borgese auch mit Novellen und Theaterstücken brillierte, stellte sie ganz in die Traditionslinie der Mann-Familie. Sie starb vor zehn Jahren, am 8. Februar 2002.

Die im Text angeführten Zitate sind dem Buch »Elisabeth Mann Borgese. Die Meer-Frau« entnommen, das 1993 im Lamuv-Verlag, Göttingen, erschienen ist.