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Titel1517

Observation Post Alpha – einst und heute  (Gerd Kaiser)

Abgehört wurde immer gern. Der Observation Post Alpha (OP Alpha) oder Point Alpha operierte jahrzehntelang, gemeinsam mit »Romeo«, »India« und »Oscar«, von 1945 bis 1991 als einer der vier Abhör- und Beobachtungsposten US-amerikanischer Geheimdienste und (ab 1965) der U.S. Army von der hessisch-thüringischen Grenze aus. »Alpha« lag zwischen dem hessischen Rasdorf und dem thüringischen Geisa in 411 Metern Höhe auf dem Rasdorfer Berg, im sogenannten Fulda Gap. Dieser Begriff verweist auf eine »Lücke«, genauer eine Senke zwischen den Bergen in der Nähe von Fulda, die aus NATO-Sicht als mögliches Einfallstor für russische Panzer galt. Von gegenüber lauschten in etwa zur gleichen Zeit, ebenfalls in einem Sperrgebiet, auf dem etwas höheren Gebaberg unweit Meiningens sowjetische Ohren, was sich da in Wildwest rege.

 

Ursprünglich von US-Militärpolizei abgeschirmt und besetzt, bezogen ab 1951 wechselnde Teile der US-Panzeraufklärungsregimenter 14 beziehungsweise 11 den Posten Alpha. Im Rahmen des »border tour program« lagen im OP Alpha jeweils etwa 40 diensttuende Militärs, die im Vier- bis Sechs-Wochen-Rhythmus ausgetauscht wurden. In Krisenzeiten blieben sie auch länger, bis auf 200 Mann aufgestockt in vorderster Linie. Anfangs untergebracht in Zelten, logierten sie sodann in den Wellblechbaracken 7700, 7701, 7705, dazu kamen Wachgebäude, Munitionsbunker und so weiter. Der 1968 errichtete Beobachtungsturm war eine Holzkonstruktion, 1982 und 1985 folgten auf ihn ein Stahlrohr- und ein Betonteil-Bau.

 

Der spezielle VIP-Point von Alpha ermöglichte es ausgewählten hochrangigen politischen und militärischen Führungskräften der USA, sich mit dem Blick ins Ulstertal und auf die gegenüber errichteten beiden Wach- und Führungstürme der Grenztruppen der DDR die Aureole von »Kennern« eines der ersten willkürlich angenommenen »Operationsgebiete« eines dritten Weltkrieges zu verleihen.

 

Ihren Point Alpha hinterließ die U.S. Army besenrein. In den Baracken waren 1991 bis 1994 Asylsuchende untergebracht. Ab 1995 unter Denkmalschutz, wurde das Gelände mit seinen Gebäuden seit 2008 zu einer einträglichen »Mahn-, Gedenk- und Begegnungsstätte« aufgebläht. Die »Point Alpha Stiftung« wird seitdem von den Bundesländern Hessen und Thüringen, dem Landkreis Fulda und dem Wartburgkreis sowie den beiden Kommunen Geisa und Rasdorf betrieben.

 

Die hier gereichte magere »geistige« Alltagskost veranlasst herangeführte Schulklassen und andere Gruppen, sich allerhöchstens eine Stunde auf der Höhe aufzuhalten. Das Vergnügen kostet sechs Euro, Schwerbehinderte zahlen fünf Euro. Deutlich mehr als die Brötchen für sich und ihre beiden Kinder verdient als Direktorin der Stiftung seit April 2016 Frau Ricarda Steinbach. Für kulante Einkünfte aus der wohlgefüllten Krippe sorgt außerdem eine »Point Alpha Akademie« im Schlossensemble des stockkatholischen Landstädtchens Geisa, in der mehr als ein Dutzend CDU-Abgeordnete den politischen Ton angeben. Mangels wirtschaftlicher und geistiger Substanz firmiert Geisa als »Point-Alpha-Stadt«. Der alljährlich ausgereichte »Point Alpha Preis« eines Kuratoriums Deutsche Einheit e. V. liefert ebenfalls nicht nur Kleingeld für zumeist ausgediente Politgrößen.

 

Aber manchmal geht es auch nachdenklicher im Zeichen Alphas zu. So trafen sich im Hochsommer diesen Jahres in der erwähnten Akademie annähernd 40 junge Leute zur Operation POL&IS, einer Simulation, die nicht zum ersten Mal der aus Darmstadt angereiste Hauptmann Florian Kling leitete, um Konfliktsituationen der multipolaren Welt nach Ende des Kalten Krieges spielerisch gerecht zu werden. Anwesend: Brigadegeneral Kai Ronald Rohrschneider, Chef des Stabes der U.S. Army in Europa mit Führungserfahrungen in Afghanistan, unter anderem bei der Truppe (2006) und als Stabschef (2009/10) der Bundeswehr in Kundus. Teilnehmer an der mehrtägigen Planspiel-Veranstaltung: Etwa 20 Offiziere bis zum Dienstgrad Hauptmann und Kadetten der U.S. Army vom Stützpunkt Baumholder und andernorts. Unter ihnen die Offiziere Murray (Luftabwehr), Nguyen (Medizinischer Dienst) und Sierra (Nachschub). Zum Übungskreis gehörten ebenfalls acht etwa gleichrangige Bundeswehroffiziere, dazu internationale Studenten, eine Handvoll Schüler. Einige von ihnen entblödeten sich nicht und suchten am letzten Tag des Kriegsspiels Atomwaffen einzusetzen. So wie es planerisch bis Ende der 1980er Jahre geschehen war, als auf Lagekarten der NATO Atomwaffenschläge zum Beispiel gegen Dresden eingetragen wurden.

 

Diesmal wurde bei POL&IS der Reflex von Schuljungen überwunden, weil die jungen Offiziere (ein)sahen, dass man mit einem Atomkrieg nichts gewinnt, jedoch alles zerstört. Deshalb setzten sie in Geisa auf Verhandlungen und Kompromisse. In ihrem Alltagsleben und mit ihren Diensträngen gehören sie allerdings nicht zu jener schmalen Schicht in der NATO, die Entscheidungsgewalt über Atomwaffen hat.