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Geschichte(n) vom Kulturpalast Dresden  (Sigurd Schulze)

Der Kulturpalast Dresden ist für die Dresdner identitätsstiftend. Auch den Bürgern der DDR war er vertraut aus den Fernsehübertragungen beliebter Sendungen wie »Zwischen Frühstück und Gänsebraten«. Der Palast war eine reale Größe. Von 1969 bis 1991 zählte er nicht weniger als 25 Millionen Besucher. Nach 1989 verlor er für das Fernsehen an Bedeutung. Sein Umbau seit 2013 und seine Wiedereröffnung am 28. April 2017 wecken neues Interesse oder neue Hoffnung, das etwas ist, das bleibt (s. »Intimität und Würde – Kulturpalast Dresden«, Ossietzky 24/2015). Da kann Bettina Klemms Buch »Der Dresdner Kulturpalast« auch Nicht-Dresdner reizen, mehr über den Palast zu erfahren. Es ist ja auch nicht ohne Delikatesse, dass die Elbphilharmonie in Hamburg und der Kulturpalast Dresden just im selben Jahr eröffnet wurden, beide mit dem ehrgeizigen Ziel gebaut, eine exzellente Akustik aufweisen zu können. Im Spiel ist natürlich auch eine unterschwellige Ost-West-Konkurrenz.

 

Auf 192 Seiten gibt Bettina Klemm einen Abriss der bewegten Geschichte des Kulturpalastes. Sie lässt keinen Zweifel an ihrer Meinung, dass der Palast das Beste und Überzeugendste an der neuen Architektur in Dresden ist, logischerweise auch mit Problemen und Widersprüchen verbunden. Von der Idee 1952 bis zur Eröffnung 1969 war die Entstehung des Baus ein spannender kulturpolitischer und architektonischer Schöpfungsprozess, an dem viele Architekten und Politiker beteiligt waren. Die SED entwickelte in den 1950er Jahren den Plan der Schaffung sozialistischer Großstädte in der DDR. Um deren Realisierung, die große Ressourcen verlangte, kümmerte sich der Erste Sekretär des Zentralkomitees, Walter Ulbricht, persönlich. So auch um den Kulturpalast. Zum Beispiel war zu klären, ob dem großen Bruder Sowjetunion mit dem »Zuckerbäckerstil« der Stalinära zu folgen sei oder nicht. Der Plan eines Gebäudes mit einem hohen Turm wurde lange verfolgt und schließlich aufgegeben, nachdem auch der Kremlpalast als Flachbau errichtet worden war. Nach dem Entwurf von Leopold Wiel wurde in Dresden ein Flachbau im Stil der Moderne geschaffen, der bald als Modell einer »Ostmoderne« galt und auch das Vorbild des Palasts der Republik in Berlin wurde.

 

Klemm beschreibt das reiche Kulturleben im Kulturpalast mit seinen vielen eigenen Ideen und Formen. Heute kaum vorstellbar, hatte der Kulturpalast einen großen, qualifizierten Mitarbeiterstab, mit Regisseuren, Dramaturgen, Pädagogen und so weiter, zum Beispiel auch mit einem eigenen Ballett, und alles mit Beteiligung der Dresdner Kinder.

 

Die Dresdner Philharmonie als Hausorchester spielte dort 60 und die Staatskapelle Dresden 40 Konzerte im Jahr. Mit großem öffentlichen Interesse etablierten sich das Dixielandfestival, das Internationale Tanzfestival und eigene Revuen wie »Rosen für unsere Frauen«. In einem Anhang führt Klemm eine höchst informative Chronik von Veranstaltungen und Gastspielen internationaler Künstler und Ensembles auf. Es fällt aber auf, wie wenig Bedeutung im Buch den Orchesterkonzerten und der Entwicklung der beiden Dresdner Spitzenorchester beigemessen wird, obwohl sie dort lange Jahre beheimatet waren oder gastierten.

 

Ende der achtziger Jahre erlebte auch der Kulturpalast angesichts des allseitig spürbaren Reformbedarfs, thematisiert in den Theatern der DDR, interessante neue Formen und Inhalte der Veranstaltungen. Nach der »Wende« brachen große Teile des Programms weg, weil sie ideologisch nicht mehr opportun waren oder weil die Kulturetats geschrumpft wurden, besonders in ehemaligen volkseigenen Betrieben oder bei Parteien und Massenorganisationen. Die Krise rief auch Forderungen nach dem Abriss des Palastes hervor, genährt von Begehrlichkeiten kapitalstarker »Investoren« nach Baugrund. Als Ausweg suchte ein neuer Geschäftsführer die Nutzung als Kongresszentrum, für das beträchtliche Investitionen getätigt wurden. 1989 bis 2008 wurden 750 Kongresse und Parteitage mit 450.000 Teilnehmern abgehalten. Das löste das Problem der Akustik für die Orchester nicht, eine Modernisierung wurde zwingender. Nach langen Diskussionen beschloss der Stadtrat 2008 die komplexe Sanierung des Gebäudes und den Umbau des Mehrzwecksaals in einen modernen Konzertsaal. Zudem brauchten auch das Kabarett »Die Herkuleskeule« und die Städtische Zentralbibliothek, die bislang nur provisorisch untergebracht waren, bessere Arbeitsbedingungen. Ihre Integration in den Kulturpalast, gemeinsam mit der Dresdner Philharmonie, drängte sich auf und wurde vom Stadtrat beschlossen.

 

Klemm schildert ausführlich den langen Weg der Diskussion und der Entscheidung für den Umbau des Kulturpalastes, für seine Erhaltung als Denkmal, für die Suche nach denkmalgerechten Lösungen und vor allem für die Sicherung einer exzellenten Akustik im neuen Konzertsaal – im Buch spannend beschrieben. Trotz der Akzeptanz der Gestaltung des Palastes schwingt bei Klemm ein unterschwelliges Bedauern über den Verlust des Mehrzwecksaales mit. Daran ist etwas Wahres. Aber hier war letztlich zu entscheiden. Wäre der Konzertsaal nicht gebaut worden, hätte die Dresdner Philharmonie schwer gelitten, denn auf die Dauer kann ein Spitzenorchester und können die Musiker einen derart unbefriedigenden Zustand nicht ertragen. Auch die Staatskapelle hatte es nicht ausgehalten und war in die Semperoper ausgewichen. Ein Sinfonieorchester aber ist so etwas wertvolles, dass eine Stadt und vor allem eine Kunststadt nicht darauf verzichten kann. Als vielleicht ungewollten Nebeneffekt dokumentiert die Autorin, dass die CDU, die FDP und die Grünen im Stadtrat den Umbau als einzige Alternative unterstützten, während die SPD und Die Linke dagegen waren. Der Fraktionsvorsitzende der Linken, André Schollbach, unterstützte sogar den Bau eines Konzerthauses. Ein widersprüchliches Bild der Partei, die den Verkauf von 48.000 städtischen Wohnungen mit zu verantworten hat. Klemm stellt richtig fest, dass mit dem Neubau eines Konzerthauses (2000 Plätze) allabendlich für den Kulturpalast (2400), die Semperoper (1200) und die Frauenkirche (1750) eine unlösbare, unrentable Konkurrenzsituation entstanden wäre.

 

Während des Schreibens des Buches im Juli 2016, vor der Inbetriebnahme des neuen Konzertsaals, war klar, dass Grundlage der künftigen Programmgestaltung Sinfonie- und Chorkonzerte sein würden. Die Musiker der Dresdner Philharmonie warteten sehnsüchtig auf ihren neuen Saal. Doch ausgerechnet das zweite Spitzenorchester, die Staatskapelle, zeigte keinerlei Interesse. Dass Klemm diesen Widerspruch umgeht, lässt eine eigene Meinung vermissen und enthält dem Leser eine Information vor, die zur Sache gehört. In der Tat spielte die Staatskapelle Dresden in der Elbphilharmonie kurz nach deren Eröffnung. Im Plan des Kulturpalasts für die Saison 2017/18 sucht man sie vergeblich.

 

Eine Fehleinschätzung trifft Klemm zu einem wichtigen, über vier Jahrzehnte währenden Bestandteil des Programms. In mokantem Ton berichtet sie, dass 1978 durch ein »regierungsamtliches Dekret inmitten des Kalten Krieges« die Dresdner Musikfestspiele gegründet wurden – verfügt von oben, durch Beschluss des Zentralkomitees der SED und des Ministerrats der DDR. Wer DDR-Gepflogenheiten kennt, weiß, dass es ein Erfolg war, einen Beschluss des ZK und des Ministerrats zu erwirken. Dann wurden nämlich die nötigen Gelder und materiellen Ressourcen (einschließlich Devisen) bereitgestellt. Das »Dekret« war der Initiative des Ersten Sekretärs der Bezirksleitung der SED, Hans Modrow, und des Sekretärs Oswin Forker zu verdanken, die auch Kurt Hagen dafür gewinnen konnten. Für Dresden ein Gewinn und trotz »kommunistischer Erfindung« bis heute ein Erfolg. Es wäre ein Leichtes gewesen, eine Einrichtung aus rein ideologischen Gründen wieder zu Fall zu bringen, wenn sie den Bürgern von der SED politisch aufgezwungen worden wäre. Die DDR hatte ein reiches Musikleben und so viele Spitzenorchester, dass sich ein Musikfest aufdrängte, um heimischen und internationalen Orchestern und Solisten Gelegenheit zu glanzvollen Auftritten zu geben. Nicht zu vergessen, dass die niedrigen Eintrittspreise dem Musikleben eine Massenbasis verliehen. Es war dem Arbeiter nicht unmöglich, für das Boston Symphony Orchestra eine Karte zu kaufen. Einen Staat, der so etwas organisiert und (ohne eigene Ölquellen) finanziert, muss man erst einmal finden.

 

 

Bettina Klemm: »Der Dresdner Kulturpalast. Eine Zeitreise von 1969 bis heute«, Verlag Bild und Heimat, 192 Seiten, 14,99 €