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Titel1911

Bemerkungen

Eine Karriere
Sehr jung schon wurde er Vorarbeiter,
Familienvater mit Frau und mit Kind
Und bald darauf Materiallager-Leiter,
Weil Unorganisierte geldbringend sind.
Zucht herrschte im Lager und bei ihm zu
Haus.
Den Widerspruch trieb er mit harter
Hand aus.

Kam es zum Streik, ging er in sein Lager
Er schuftete dann für zwei oder drei.
Wer streikte, war für ihn ein Versager.
Noch schlimmer: Sie schlugen
undankbar entzwei
Den Aufbau der Firma. Sie halfen am End‘
Dem bösen, feindlichen Konkurrent.

Nach dem ausstand ließ er es sie spüren;
Er schikanierte auf Schritt und auf Tritt
Sie sollten die Lust am Streik verlieren.
Gestiegenen Lohn nahm er allerdings
mit.
Doch wichtiger war ihm das Lob seiner
Herrn.
Für sie tat er alles. Und er tat es gern.

Den Managern war er wohlgesonnen.
Sie gaben ihm Arbeit und gaben Brot.
Er hatte den Sinn des Lebens gewonnen:
Er saß mit den Bossen in einem Boot.
Er zog mit den Oberen an einem Strick.
Das Glück seiner Firma, das war auch
sein Glück.

Er war den Aktionären verbunden.
Den Banken. Sie gaben schließlich das
Geld.
Und selbst in seinen ehrlichsten Stunden
Bediente er freudig die Herren der Welt.

Der freien Marktwirtschaft und dem
Kapital
Galt seine in Freiheit getroffene Wahl.

Er macht Karriere, stieg nach oben,
Er wurde schließlich sogar Prokurist.
Er hat nie Waren und Geld verschoben.
Natürlich war er ein gläubiger Christ.
Die Ordnung der Wirtschaft, sagt‘ er, ist
gerecht,
Und wer arbeiten will, dem geht es nicht
schlecht.

So ging es voran in vielen Jahren.
Da brach unversehens die Krise aus.
Und schuldlos mußte er dies erfahren:
Er war zu teuer! Man schmiß ihn hinaus
Mit allen anderen. Die Firma bankrott!
Da zweifelt er plötzlich an seinem Gott.

Er muß nicht hungern. Aber verloren
Fühlt er sich nun, und sein Herz ist voll
Qual.
Er hat denen Oben Treue geschworen.
Doch dem Kapital ist das scheißegal.
Ihm geht’s wie Millionen. Ein Opfer wie
sie.
Er spürt es jetzt manchmal. Und begreift
es doch nie.

Werner René Schwab


Vorsortiert
Wen wünschen sich die Deutschen als Kanzler(in)? Wir wissen es jetzt, dank eines Auftrags, den die Welt am Sonntag den Demoskopen von infratest-dimap erteilte. Die haben einen, na ja »repräsentativen« Ausschnitt der Bevölkerung befragt, wobei eine Vorauswahl von Wunschkanzlern nicht zu vermeiden war. Das Ergebnis: Helmut Schmidt, hypothetisch verjüngt, ist einsame Spitze in der Wunschliste, ihm folgen mit gleichem Rang Angela Merkel und Peer Steinbrück, erheblich darunter rangiert (ebenfalls verjüngt gedacht) Helmut Kohl, dann Gerhard Schröder und noch niedriger Joseph Fischer. Guttenberg ist nicht mehr im Angebot. Das Problem bei einer solchen Umfrage: Es ist nicht bekannt, ob die Befragten ihre Sympathieverteilung in Kenntnis oder in Unkenntnis des politischen Handelns der Kandidaten vorgenommen haben.

Steinbrück, schreibt Welt-online, sei »erstaunlicherweise« recht beliebt bei FDP-Sympathisanten. Dieses Erstaunen ist erstaunlich. Fischer kommt bei Sympathisanten der Linkspartei besser weg als bei denen seiner eigenen Partei; wie ist das zu erklären? Gibt es bei der Linkspartei vielleicht doch Revoluzzergemüter, und stellen die sich »Joschka« verjüngt vor?

Erklärungsbedürftig ist der weite Vorsprung, den Helmut Schmidt vor Helmut Kohl hat. Möglicherweise wissen viele Befragte doch Bescheid über die jeweiligen Kanzlerzeiten, und da haben sie gedacht: Ist doch gut, wenn so ein Mann nicht allzu lange kanzlert.

Immerhin hat die Welt am Sonntag durch ihre Umfrage schon mal sortiert: Merkel oder Steinbrück stehen zur Wahl; in der CDU kann man sich das Murren, in der SPD die innerparteiliche Willensbildung ersparen.
M. W.


Wider die göttliche Allmacht
Als José Saramago am 18. Juni 2010 in Tias auf der spanischen Insel Lanzarote starb, war sein jüngster Roman »Kain« auf deutsch noch nicht veröffentlicht. In dieser ganz persönlichen Abrechnung mit dem Christentum schreibt José Saramago die Bibel einfach um. Den Brudermörder Kain läßt er eine ganz eigene Reise durch das Alte Testament antreten. Mit Phantasie und Humor, aber auch mit einem Schuß Boshaftigkeit führt er die göttliche Allmacht ad absurdum – ein bekennender Atheist.

Der 1998 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnete Portugiese Saramago hatte sich schon 1991 in seinem siebten Roman »Das Evangelium nach Jesus Christus« mit Klerus und Amtskirche auseinandergesetzt. Saramago läßt einen selbstkritischen Jesus am kirchlichen Glauben zweifeln. Der Vatikan erklärte das Buch für blasphemisch. Durch diese Auseinandersetzung sah sich der konservative Kulturstaatssekretär Pedro Santana Lopes veranlaßt, Saramago wegen Verletzung der religiösen Gefühle der Portugiesen von der Liste der Kandidaten für den Europäischen Literaturpreis zu streichen. Darauf gingen der Literat und seine Frau ins Exil auf Lanzarote. Er kandidierte aber noch 2004 für die Partido Comunista Português, der er lebenslang angehörte, für die Europawahl – auf einem aussichtslosen Listenplatz.
Karl-H. Walloch
José Saramago: »Kain«, Hoffmann und Campe Verlag, 176 Seiten, 20 €


Da fehlt etwas
Nicht nur die Familie Buddenbrook hatte im Fluß der Geschichte ihr Verfallsdatum, auch die Familie Umnitzer/Powileit aus dem 20. Jahrhundert erlebte Hochs und Tiefs und hat mit dem Urenkel Markus zwar einen Überlebenden, aber wohl keine Hoffnung auf Fortführung der Familientradition. Die »Alten«, Wilhelm und Charlotte, waren Kommunisten, emigrierten vor Hitler bis nach Mexiko und fürchteten, daß sie 1952 zu spät nach Deutschland zurückkehrten, weil die hohen Posten schon besetzt waren. Aber sie bekommen noch etwas ab von der Macht in der DDR. Ihr Sohn Kurt kommt erst 1956 aus der Sowjetunion, und zwar als ehemaliger Gulag-Häftling. Er bringt seine russische Frau Irina mit und wird in der DDR ein angesehener Historiker. Dessen Sohn Alexander wiederum kann weder auf Parteikarriere noch wissenschaftliche Leistung verweisen, er geht ein paar Tage vor der Maueröffnung in den Westen, wo er an kleinen Theatern tingelt. Noch vor dem dementen Vater droht ihm wegen einer Krebserkrankung der Tod.

Der Abstieg einer Familie parallel zum Verfall des sozialistischen Lagers? Von den äußeren Fakten her wohl. Sieht man jedoch wie der Autor genau hin, so gab es nie einen Höhepunkt, denn all diesen von der Partei geleiteten Personen fehlte es immer an charakterlicher Größe: Wilhelm – strotzdumm, Charlotte – karrieregeil, Kurt – gebrochen und sexsüchtig, Irina – eigentlich liebenswert und zuletzt alkoholkrank. Miteinander verbindet sie weder Liebe noch Respekt noch wirkliche Gemeinsamkeit. Die Details ihres Alltags hat Eugen Ruge großartig geschildert, ist er doch ein Abkomme einer ähnlichen Familie. Die raffinierte Komposition ist gelungen. Es hätte ein großer Roman werden können, wenn der Autor bei seinen Protagonisten etwas mehr historische Gerechtigkeit zugelassen und eine wichtige Dimension ihres Handelns und Denkens nicht ausgespart hätte. Er zeigt sie nur im Familienkreis und am liebsten dann, wenn sie vergreisen. Private Entscheidungen – warum die Ahnen Kommunisten wurden, was Kurt als Historiker beschäftigt, was sie an der kommunistischen Utopie festhalten läßt – werden weder thematisiert noch in historische Zusammenhänge gestellt. So werden sie zu Karikaturen, auch zu Kreaturen eines Schöpfers, dem die Liebe zu seinen Figuren abgeht. Das kann leider nur böse und klein werden, und wir erinnern uns wehmütig der wunderbaren Zutaten von Liebe, Spott, ja Mitleid und Zuneigung, mit denen ein Thomas Mann den Untergang der Seinen beschrieb.
Christel Berger
Eugen Ruge: »In Zeiten des abnehmenden Lichts«, Roman, Rowohlt, 426 Seiten, 19,95 €


DDR-Schauspieler
Film und Theater in der DDR lebten nicht zuletzt von einer Schauspielerelite, die, wie viele nach der »Wende« erfahren mußten, im Westen kaum jemand kannte, nicht einmal Kollegen, von Agenturen ganz zu schweigen. Das paßte zu der mit Arroganz gepaarten Ignoranz, mit der damals das bundesdeutsche Feuilleton die ganze DDR-Kultur behandelte. Jetzt erteilt ein vom Filmmuseum Potsdam herausgegebener Band »Der ungeteilte Himmel«, in dem »Schauspieler aus der DDR erzählen«, ebenso informativ wie unterhaltsam Nachhilfeunterricht. Die Texte basieren auf Interviews, die Ingrid Poss und Peter Warnecke mit 19 Schauspielerinnen und Schauspielern geführt, haben, von der heute 87jährigen Grande Dame des Ostberliner Deutschen Theaters, Inge Keller, als ältester bis zu Anja Kling vom Jahrgang 1970, die zum Zeitpunkt des Mauerfalls gerade ihren ersten DEFA-Film gedreht hatte.

Die Biographien vermitteln nicht nur Einblicke in eine Epoche Theatergeschichte, sondern zugleich einen Rückblick auf Zeitgeschichte. Inzwischen sind alle auf den Bühnen und in den Ateliers des nicht mehr geteilten Landes angekommen, und alle reflektieren auch die Erfahrungen dieses Übergangs. Alfred Müller (2010 gestorben) mußte lernen, daß es jetzt auf den »Marktwert« ankam, was ihn an »Menschenmaterial« denken ließ, von dem er einst im Krieg gehört hatte. Seine Arbeitsbedingungen bei der DEFA sind ihm als »goldene Zeiten« in Erinnerung – mit »mehr Muße, uns mit den Dingen auseinanderzusetzen«. Renate Blume registriert wie andere »die Verflachung des Fernsehens, des Kinos und in gewisser Weise auch des Theaters ... Es geht nur um Quoten«. Und Eberhard Esche, ihr Partner in Konrad Wolfs »Der geteilte Himmel« (ebenfalls inzwischen gestorben), sah als Unterschied: »Es gab in der DDR freie Unterhaltung unter den Kollegen, das ist heute absolut weg. Es herrscht so viel Angst, Vorsicht, Abschottung.«

Die älteren Jahrgänge waren durch die Kriegszeit geprägt, glaubten wie Esche und Rolf Hoppe noch an Hitler. Alle loben ihre Schauspielschulen und deren Dozenten und wissen große Regisseure zu charakterisieren. Aber Dieter Mann resigniert: »Wenn man heute junge Leute fragt: ›Wer waren Wolfgang Heinz oder Benno Besson?‹, können selbst die Schauspielstudenten keine Antwort geben.« Solche Vergessenheit gilt wohl für viele Namen, die in dem Buch auftauche, auch für private Details wie Inge Kellers frühe Liaison mit Karl-Eduard von Schnitzler, Christel Bodensteins Verbindung mit Konrad Wolf oder Renate Blumes Ehe mit Dean Reed.

Unterschiedlich wie alle Lebensläufe sind auch ihre Darstellungen, von der dezidiertesten eigenen Meinung Eberhard Esches über die abenteuerlichsten Reminiszenzen Edzard Haußmanns bis zu den fast philosophischen Meditationen Christian Steyers. Detaillierte Kurzbiographien und ein Titelregister der erwähnten Inszenierungen und Filme im Anhang machen aus dem Buch ein nützliches Nachschlagewerk.
Heinz Kersten
Ingrid Poss/Peter Warnecke: »Der ungeteilte Himmel«, Verlag Neues Leben, 480 Seiten, 29.90 €


Press-Kohl
Im Briefkasten war ein Prospekt. Der versprach, daß »zahlreiche Artikel mit dem Preis-Siegel ausgezeichnet« wurden, zum Beispiel der »Christopeit CXM 6 Crosstrainer Ergometer«, daß er ein Induktionsbremssystem enthält sowie eine 32-stufige computergesteuerte Widerstandsregelung, zudem 12 kg Schwungmasse nebst Handpulsmessung, Körperfett-Analyse (BMI, BMR). Maximale Gewichtsbelastung: 150 kg! Spottpreis 379,95 Euro.
Das wäre doch etwas nach meinem Geschmack. Weihnachten steht vor der Tür mit fettem Mastschweinebraten. Und unsereiner hat nicht mal eine computergesteuerte Körperfett-Analyse (BMI, BMR) ...
Meine Freundin hat in dem Reklame-Heftchen ein zu mir passendes Geburtstagspräsent entdeckt: »Riesen-Sitzsack, 320 Liter, 49 Euro.« Falls es an meinem nächsten Geburtstag den Euro noch gibt. Herr Schäuble ist sich in dieser Sache nicht ganz so sicher wie Frau Merkel.
Felix Mantel