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Titel2110

Unter Geltungssüchtigen  (Klaus Hansen)

ABM
Der unbescholtene Herr Schmitz ist 60 Jahre alt und teilt seinen Namen mit tausendsiebenhunderteinundneunzig Bürgern der großen Stadt am Rhein. Das wurde Herrn Schmitz jetzt zum Verhängnis. Mitten in der Nacht stürmte ein Einsatzkommando der Polizei seine Wohnung. Angeblich hatte man ihn mit einem Namensvetter zwei Stockwerke höher verwechselt. »Keine Bewegung! Wo ist die Waffe? Wo ist der Hund?« Herr Schmitz wußte nicht, wie ihm geschah. Er besaß weder Hund noch Waffe. In seiner Not griff er zum Teekessel auf dem Herd, den er dem Lautstärksten unter den Maskierten mitten ins Gesicht schlug. Jetzt ist auch Herr Schmitz nicht mehr unbescholten. Wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt muß er sich vor Gericht verantworten. Für die Wissenschaft der Kriminologie handelt es sich um einen Paradefall. Immer wieder bringt die Polizei erst die Verbrechen hervor, die sie anschließend bravourös bekämpft. Das ist organisierte Kriminalität. Zählt aber nicht als solche.

Unter Geltungssüchtigen
Ein nicht ganz unbedeutender Zeitgenosse, der sich allerdings viel zu wenig beachtet fühlt (immerhin hat er das inzwischen weltberühmte »Angler-Diktum« in die Marketing-Lehre eingeführt: »Der Wurm muß dem Fisch schmecken, nicht dem Angler«), dieser nicht ganz unbedeutende Zeitgenosse also lädt einen Kollegen, der ebenfalls glaubt, weit unter Wert gehandelt zu werden, zu einem Expertengespräch im Fernsehen ein, drittes Programm. Dem Eingeladenen paßt der Termin nicht. Heilige Erstkommunion seiner Jüngsten. Da darf er als Vater und Repräsentant eines katholischen Spitzenverbandes unmöglich fehlen. Statt das offen zu sagen, ergeht er sich in der Schilderung eines fiktiven Ereignisses, das seinen TV-Auftritt zum fraglichen Zeitpunkt ganz und gar ausschließe: Als Berater der Vereinten Nationen in allen Fragen von Emi- und Immigration (inklusive Segregation) sei er an diesem Tag in New York zu Gast. Da er den UNO-Generalsekretär schon zweimal versetzt habe, fühle er sich nun in der Pflicht. Dann schlägt er einen Ersatztermin für die Fernsehdiskussion vor.

Dem Erfinder des Angler-Diktums war das weltweite Ausmaß der Namhaftigkeit seines Gesprächspartners bisher nicht bewußt. Er fühlt sich unter Zugzwang. Also bedauert er, »vorbehaltlich eines weiteren Gesprächs mit Stockholm«, wie er einräumt, den vorgeschlagenen Ausweichtermin nicht bestätigen zu können. Genau an diesem Tag müsse er, »aller Voraussicht nach, wie gesagt«, nach Schweden reisen, um aus der Hand des Königs, des »dortigen Königs«, wie er sich genau ausdrückt, »einen dieser Nobelpreise« in Empfang zu nehmen.

Wir Fernsehzuschauer werden uns also noch eine Weile gedulden müssen, bis wir ein Gipfeltreffen der beiden Koryphäen miterleben dürfen. Noch sind die zwei zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Der eine, um den es hier geht, ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nördlicher Harz. Der andere ist Flüchtlingsbeauftragter des Caritasverbandes Mittlerer Niederrhein. Beides angesehene Positionen. Aber einfach zu wenig, um damit im globalisierten Kampf um Ruhm und Ehre punkten zu können.

Herr Zelter hadert mit den Verhältnissen
Wissen Sie eigentlich, daß Sie, wenn alles mit rechten Dingen zuginge, eine Luxussteuer zahlen müßten? Sie haben eine Stelle. Sie haben ein Gehalt. Sie haben eine Wohnung. Sie haben eine Frau und zwei Kinder. Wissen Sie eigentlich, daß das alles nicht mehr normal ist? Im Gegenteil, Luxus ist das, purer Luxus! Was denn noch normal sei, wollen Sie wissen? Die Totenschändung zum Beispiel. In staatlich finanzierten Fortbildungskursen werden Arbeitslose darauf trainiert, freie Arbeitsplätze nicht mehr in den Stellenanzeigen zu suchen, sondern in den Todesanzeigen. »Natürlich kommen nur die U-50-Toten in Frage«, betont der Trainer. Und hat die Lacher auf seiner Seite. »Rufen Sie die Angehörigen an. Bedauern Sie. Kondolieren Sie. Fragen Sie nach dem Arbeitgeber. Rufen Sie den Arbeitgeber an. Kondolieren Sie. Bieten Sie Hilfe an. Ab sofort können Sie einspringen. Sie sind gesund.« – »Und am Leben«, ergänzt der Lehrgangsbeste.

Zwei Freunde
Immer wenn Uwe mit »Weißt du eigentlich« begann, wußte ich, daß eine Demonstration seiner Überlegenheit bevorstand. »Weißt du eigentlich«, begann Uwe, »worin der ganz besondere Reiz von Revolutionen liegt?« Uwe wußte um die verblüffende Originalität seiner Antwort. Darum zögerte er sie hinaus. Man sah, daß er Spaß daran hatte, mich zappeln zu lassen. Aber diesmal zappelte ich nicht, ich tat nur so, aus alter Gewohnheit. Diesmal hatte ich dasselbe Buch gelesen. Als Uwe endlich meinte, mich von der Folter der Ahnungslosigkeit erlösen zu müssen, kam ich ihm mit meiner Antwort zuvor. Es war wortwörtlich seine Antwort: »In der Vereinfachung des Seitensprungs für Mann und Frau«, sagte ich. Uwe rang nach Atem. »Woher hast du das?« Der Ton klang ärgerlich. Uwe legte Wert darauf, für witzig im alten Sinne gehalten zu werden, also für geistreich und erfinderisch. Doch damit war es jetzt vorbei. Uwe war durchsichtig geworden.